Donnerstag, 12. Januar 2023

Wirksame Gerichtsstandsvereinbarung durch Hyperlink auf Geschäftsbedingungen

 

„Art. 23 Abs. 1 und 2 des am 30. Oktober 2007 unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, das im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2009/430/EG des Rates vom 27. November 2008 genehmigt wurde, ist dahin auszulegen, dass

eine Gerichtsstandsklausel wirksam vereinbart ist, wenn sie in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist, auf die ein schriftlich abgeschlossener Vertrag durch Angabe des Hyperlinks zu einer Website hinweist, über die es möglich ist, diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Kenntnis zu nehmen, herunterzuladen und auszudrucken, ohne dass die Partei, der diese Klausel entgegengehalten wird, aufgefordert worden wäre, diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch Anklicken eines Feldes auf dieser Website zu akzeptieren.“

Der Europäische Gerichtshof bestätigt seine liberale Rechtsprechung zu Gerichtsstandsvereinbarungen mit Urteil vom 24. November 2022 (C358/21 - Tilman SA).

Internationaler Handel ist eine gute Sache. Wird ein Handelsvertrag aber unzureichend ausgeführt, will die benachteiligte Vertragspartei regelmäßig Schadensersatz erhalten, oft auch (Nach-)Erfüllung. Hierfür braucht diese Partei normalerweise ein Urteil, aus dem sie in das Vermögen des Schuldners gegebenenfalls vollstrecken kann. Ein ausländisches Urteil hat oft den Nachteil, dass es in einem weiteren Verfahren vor Ort anerkannt werden muss. Urteilsstaat und Staat, in dem das Vermögen des Schuldners belegen ist, sollten also möglichst übereinstimmen. Hierfür bietet sich eine Gerichtsstandsvereinbarung an, die am einfachsten in Geschäftsbedingungen enthalten ist.

Der Europäische Gerichtshof hat mit der vorliegenden Entscheidung die Verwendung solcher Geschäftsbedingungen vereinfacht. Zwar erging die Entscheidung zum Lugano II-Übereinkommen, doch laufen die unionsrechtlichen Vorschriften gleich. Bisher wussten wir, dass AGB durch einen Hyperlink aufrufbar sein und ihre Geltung durch das Anklicken einer Checkbox akzeptiert werden müssen (C322/14 - El Majdoub). Für wechselseitig unterzeichnete Verträge lässt der Gerichtshof nun sogar den ausschließlichen Verweis auf den Hyperlink ausreichen, zumal in der vorliegenden Entscheidung der Hyperlink nur zu einer Übersichtsseite führte, von der aus erst die Geschäftsbedingungen referenziert waren.

Unabhängig von dieser Entscheidung wird sich wahrscheinlich der ausschließliche Verweis mittels Hyperlink bei Vertragsschlüssen gleich welcher Art durchsetzen. Das gilt für die Rechtswahl nach Art. 3 Rom-I-VO, möglicherweise aber auch bei Geltung der UN-Kaufrechtskonvention.

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 23 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 2 des am 30. Oktober 2007 unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, das im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2009/430/EG des Rates vom 27. November 2008 genehmigt wurde (ABl. 2009, L 147, S. 1, im Folgenden: LuganoII-Übereinkommen).

Art. 23 („Vereinbarung über die Zuständigkeit“) des Übereinkommens bestimmt in seinen Abs. 1 und 2:

„(1) Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates zuständig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden

a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder

c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.

(2) Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt.“

Am 22. November 2010 schlossen die Parteien Tilman und Unilever einen ersten Vertrag, nach dem sich Tilman verpflichtete, für Rechnung von Unilever Teebeutelschachteln zu einem bestimmten Preis zu verpacken und zu befüllen.

Durch einen am 6. Januar 2011 geschlossenen zweiten Vertrag wurde der vereinbarte Preis geändert. In diesem Vertrag hieß es, dass er, wenn nichts anderes bestimmt sei, den Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Kauf von Unilever-Erzeugnissen unterliege. Diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die mittels eines Hyperlinks auf einer Website eingesehen und heruntergeladen werden konnten, sahen vor, dass jede Vertragspartei „unwiderruflich für die Beilegung jedes Rechtsstreits, der seinen Ursprung unmittelbar oder mittelbar im Vertrag hat, der ausschließlichen Gerichtsbarkeit der englischen Gerichte unterliegt“.

Infolge einer Änderung der Abrechnungsmodalitäten kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien in Bezug auf die Erhöhung des in Rechnung gestellten Preises, und Unilever zahlte die von Tilman ausgestellten Rechnungen nur teilweise. Tilman verklagte Unilever.

Nach verschiedenen Gerichtsentscheidungen legt der belgische Kassationshof vor und fragt nach der Wirksamkeit der Gerichtsstandsklausel.

Der Europäische Gerichtshof erläutert: Da Art. 23 Abs. 1 und 2 des LuganoII-Übereinkommens mit Art. 23 Abs. 1 und 2 der BrüsselI-Verordnung identisch ist und Art. 23 Abs. 1 dieser Verordnung selbst nahezu denselben Wortlaut hat wie Art. 17 Abs. 1 des Brüsseler Übereinkommens, ist bei der Auslegung von Art. 23 Abs. 1 und 2 des LuganoII-Übereinkommens die Auslegung der entsprechenden Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens und der BrüsselI-Verordnung durch den Gerichtshof zu berücksichtigen (vgl. entsprechend Urteile vom 7. Februar 2013, Refcomp, C543/10, EU:C:2013:62, Rn. 18 und 19, sowie vom 21. Mai 2015, El Majdoub, C322/14, EU:C:2015:334, Rn. 27 und 28). Da Art. 25 Abs. 1 und 2 der BrüsselIa-Verordnung mit im Wesentlichen gleichlautender Formulierung Art. 23 Abs. 1 und 2 der BrüsselI-Verordnung ersetzt hat, ist auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur ersten dieser Bestimmungen zu berücksichtigen.

Dem Erfordernis der Schriftlichkeit nach Art. 17 Abs. 1 Brüsseler Übereinkommens eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Partei enthaltene Gerichtsstandsklausel genügt grundsätzlich, wenn diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf der Rückseite des Vertrags abgedruckt sind und wenn dieser ausdrücklich auf die genannten Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bezug nimmt oder wenn die Parteien im Text ihres Vertrags auf ein Angebot Bezug genommen haben, das seinerseits ausdrücklich auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen hinweist, sofern diesem deutlichen Hinweis von einer Partei bei Anwendung der normalen Sorgfalt nachgegangen werden kann und feststeht, dass die die Gerichtsstandsklausel enthaltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen der anderen Partei tatsächlich zugegangen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 1976, Estasis Saloti di Colzani, 24/76, EU:C:1976:177, Rn. 10 und 12).

Gemäß Art. 23 Abs. 2 der BrüsselI-Verordnung, der gegenüber Art. 17 des Brüsseler Übereinkommens eine neue Bestimmung darstellt, die eingefügt wurde, um die Entwicklung neuer Kommunikationstechniken zu berücksichtigen, kann die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden u. a. davon abhängen, ob eine dauerhafte Aufzeichnung möglich ist (Urteil vom 21. Mai 2015, El Majdoub, C322/14, EU:C:2015:334, Rn. 32).

Eine Auslegung des Wortlauts dieser Vorschrift ergibt somit, dass es „ermöglicht“ werden muss, die Gerichtsstandsvereinbarung dauerhaft aufzuzeichnen, und dass es nicht darauf ankommt, ob der Text der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom Käufer nach oder vor Anklicken des Feldes mit der Erklärung, dass er diese Bedingungen akzeptiert, tatsächlich dauerhaft aufgezeichnet wurde (Urteil vom 21. Mai 2015, El Majdoub, C322/14, EU:C:2015:334, Rn. 33).

Ziel dieser Vorschrift ist es nämlich, bestimmte Formen der elektronischen Übermittlung der Schriftform gleichzustellen, um den Abschluss von Verträgen auf elektronischem Wege zu erleichtern, da die Übermittlung der betreffenden Informationen auch dann erfolgt, wenn diese über einen Bildschirm sichtbar gemacht werden können. Damit die elektronische Übermittlung dieselben Garantien, insbesondere im Beweisbereich, bieten kann, genügt es, dass es „möglich“ ist, die Informationen vor Vertragsschluss zu speichern und auszudrucken (Urteil vom 21. Mai 2015, El Majdoub, C322/14, EU:C:2015:334, Rn. 36).

Mittwoch, 21. September 2022

Internationale Zuständigkeit beim Geschäftsgeheimnisschutzgesetz - OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.3.2022 – 6 W 15/22

 Die örtliche Zuständigkeit und damit die Frage, ob eine internationale Zuständigkeit begründet ist, richtet sich in einem solchen Fall von Klagen vor den ordentlichen Gerichten, durch die Ansprüche nach dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 1 GeschGehG), daher nach § 15 Abs. 2 GeschGehG. Im – hier nicht gegebenen – Regelfall ist nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GeschGehG das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Hat der Beklagte – wie hier die Antragsgegner – im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand, ist nach § 15 Abs. 2 Satz 2 GeschGehG nur das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen worden ist. Das Landgericht ist zutreffend und in Einklang mit der Ansicht der Antragstellerin davon ausgegangen, dass Art. 7 Brüssel Ia-VO die Zuständigkeit hier nicht begründen kann, weil die Antragsgegner ihren (Wohn-)Sitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben.“

§ 15 Abs. 2 S. 2 GeschGehG:
„Hat der Beklagte im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand, ist nur das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen worden ist.“
Art. 7 Brüssel Ia-VO:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden…“
Gründe (vereinfacht):
I. Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer auf Unterlassung gerichteten einstweiligen Verfügung gegen die Antragsgegner wegen behaupteter Rechtsverletzungen im Sinn von § 6 GeschGehG.
Die Antragstellerin hat geltend gemacht:
Die Antragstellerin ist im Bezirk des angerufenen Gerichts ansässig. Der in den Vereinigten Staaten von Amerika wohnhafte Antragsgegner zu 1 sei der Chief Executive Officer der ebenfalls dort ansässigen Antragsgegnerin zu 2. Er habe Dateien, die Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin enthielten, von seinem beruflichen E-Mail-Account bei der Antragstellerin an einen privaten E-Mail-Account versandt sowie auf private Datenträger wie die beschlagnahmte Festplatte und den USB-Stick gespeichert, ohne hierzu berechtigt zu sein.
Der Antragsgegner zu 1 habe daher die Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin gemäß § 4 Abs. 3 GeschGehG verletzt.
Das Landgericht hat den am 21. Februar 2022 eingereichten Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei gemäß § 937 Abs. 1 ZPO örtlich und damit auch international nicht zuständig. Insbesondere begründe der Sitz der Antragstellerin im hiesigen Zuständigkeitsbereich keinen Erfolgsort bzw. Begehungsort im Sinn von § 15 Abs. 2. Satz 2 GeschGehG. Ein Erfolgsort des Erlangens, Nutzens oder Offenlegens von Geschäftsgeheimnissen sei allenfalls dort anzunehmen, wo die Geschäftsgeheimnisse aufgerufen und zur Kenntnis genommen werden. Dass solches im hiesigen Bezirk erfolgt sei oder auch nur konkret drohen würde, sei nicht erkennbar. Auf einen Erfolg im Sinn eines Schadenseintritts oder einer Rechtsgutsbeeinträchtigung komme es nach den hier einschlägigen Normen nicht an.
II. Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat mit Recht seine Zuständigkeit nach § 937 Abs. 1 ZPO verneint, weil es für die Hauptsache nicht zuständig wäre.
Das Landgericht ist zutreffend und in Einklang mit der Ansicht der Antragstellerin davon ausgegangen, dass Art. 7 Brüssel Ia-VO die Zuständigkeit hier nicht begründen kann, weil die Antragsgegner ihren (Wohn-)Sitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben. Die örtliche Zuständigkeit und damit die Frage, ob eine internationale Zuständigkeit begründet ist, richtet sich in einem solchen Fall von Klagen vor den ordentlichen Gerichten, durch die Ansprüche nach dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 1 GeschGehG), daher nach § 15 Abs. 2 GeschGehG. Im – hier nicht gegebenen – Regelfall ist nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GeschGehG das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Hat der Beklagte – wie hier die Antragsgegner – im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand, ist nach § 15 Abs. 2 Satz 2 GeschGehG nur das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen worden ist. Das Landgericht ist nicht der Ansicht der Antragstellerin entgegengetreten, wonach damit sowohl der Handlungsort als auch der Erfolgsort bezeichnet sind, was mit der insoweit einhelligen Ansicht übereinstimmt (vgl. nur Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., GeschGehG § 15 Rn. 27). Gegen die zutreffende Beurteilung des Landgerichts, dass sich hier kein Handlungsort in dessen Bezirk feststellen lässt, wendet sich die Beschwerde, die auch keinen anderen inländischen Handlungsort vorträgt, nicht. Sie beanstandet ausschließlich, dass das Landgericht sodann auch den allein noch zur Begründung der Zuständigkeit in Betracht kommenden Erfolgsort nicht in seinem Bezirk erkannt hat. Damit hat sie keinen Erfolg.
Wie bei der insoweit übereinstimmend formulierten Regelung in § 32 ZPO ist ein Ort des Schadenseintritts Begehungsort nur, wenn der Schadenseintritt selbst zum Tatbestand der Rechtsverletzung gehört, wie etwa bei einer deliktischen Haftung nach § 826 BGB oder nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, die den Eintritt eines Vermögensschadens erfordern (vgl. nur Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 32 ZPO, Rn. 19 mit umfangreichen Nachweisen; Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. § 14 Rn. 16). Eine „Rechtsverletzung“ im Sinn von § 6 UWG (siehe auch die Definition des Begriffs „Rechtsverletzer“ in § 2 Nr. 3 GeschGehG) liegt indes bereits bei einer Zuwiderhandlung gegen eines der in § 4 UWG normierten Handlungsverbote vor. Die Zuwiderhandlung setzt tatbestandsmäßig einen der dort genannten Erfolge voraus, der indes nicht etwa in einer „Verletzung“ des Geschäftsgeheimnisses im Sinn einer bei dessen Inhaber spürbaren Beeinträchtigung desselben, sondern unabhängig von der Wirkung auf den Inhaber bereits in der Erlangung, Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses liegt. Ein Bezug zum Inhaber des Geschäftsgeheimnisses besteht dabei lediglich insoweit, als ein Geschäftsgeheimnis als taugliches Tatobjekts denknotwendig bei einer bestimmten Person entstanden sein muss, was insbesondere nach § 2 Nr. 1 Buchst. b GeschGehG Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber voraussetzt. Die (rechtmäßige) Schaffung des Tatobjekts durch den Inhaber ist freilich nicht Teil der Begehung im Sinn von § 15 Abs. 2 Satz 2 GeschGehG. Dass ferner auf Rechtsfolgenseite die Anspruchsberechtigung nach § 6 Satz 1 GeschGehG dem Inhaber des Geschäftsgeheimnisses zugewiesen ist, macht dessen Verletzung ebenfalls weder zu einem Element der verbotenen Handlung noch zu einem tatbestandnotwendigen Erfolg. …
Die hier gefundene Sichtweise entspricht der vom Gesetzgeber gewollten Einordnung der Regelungen über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Dieser wollte mit § 4 GeschGehG einen Katalog von „Handlungsverboten“ schaffen, bei deren Missachtung eine rechtswidrige Erlangung oder eine rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung vorliegt. Die Festlegung eines Katalogs von Handlungsverboten soll verdeutlichen, dass Geschäftsgeheimnisse nicht gegen jede Benutzung durch Dritte ohne Zustimmung des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses geschützt werden, sondern nur gegen bestimmte unlautere Verhaltensweisen. Dies soll dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich bei Geschäftsgeheimnissen zwar in gewisser Weise um Immaterialgüterrechte handelt, aber anders als bei Patenten, Marken und Urheberrechten keine subjektiven Ausschließlichkeits- und Ausschließungsrechte vorliegen können (BT-Drucks. 19/4724, S. 19, 26). Entgegen der Ansicht der Beschwerde bezweckt das Gesetz keinen Schutz gegen die „primäre Verletzung“ von Geschäftsgeheimnissen als geschützten bzw. „vermögenswerten“ Rechtsgütern, sondern dient konkret dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor unerlaubter Erlangung, Nutzung und Offenlegung (§ 1 Abs. 1 GeschGehG). Dass den so geschützten Geheimnissen Vermögenswert zukommt, ändert nichts daran, dass es für das Vorliegen einer Zuwiderhandlung nach § 4 GeschGehG nicht auf einen Erfolg der Beeinträchtigung dieses „Rechtsguts“ ankommt, sondern allein auf die dort genannten Handlungserfolge.
Allerdings geht das Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschluss vom 25. November 2021 – 15 SA 1/21, BeckRS 2021, 38391 Rn. 55) offenbar davon aus, im Sinn von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO sei der „Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs“ (Erfolgsort) bei unerlaubten Handlungen in Gestalt von Zuwiderhandlungen gegen § 4 GeschGehG am Ort des Sitzes der „betroffenen“ Rechtsinhaberin zu lokalisieren. Es kann dahinstehen, ob im Rahmen dieser Vorschrift – was naheliegt – der Erfolgsort einer Handlung nach § 4 GeschGehG ebenso zu bestimmen ist, wie nach § 15 Abs. 2 Satz 2 GeschGehG. Nach Auffassung des Senats fehlt es aus den oben genannten Gründen an einem zur Anknüpfung des Erfolgsorts geeigneten Tatbestandsmerkmal der „Betroffenheit“ des (lediglich anspruchsberechtigten) Inhabers des Geschäftsgeheimnisses. Die zu anderen Ansprüchen, nämlich neben § 823 Abs. 2 i.V.m. § 17 UWG aF auch § 823 Abs. 1, § 826 BGB ergangene Entscheidung des Landgerichts Frankfurt (Urteil vom 15. November 2004 – 2-18 O 109/04, BeckRS 2010, 17136), ist auf die hier interessierende Frage der Auslegung von § 15 GeschGehG nicht zu übertragen. Soweit das Oberlandesgericht Düsseldorf (Urteil vom 21. November 2019 – I-2 U 34/19, juris Rn. 10 f) ausgeführt hat, für die Bestimmung des anwendbaren Rechts komme es nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO, ggf. i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO auf den Sitz des beeinträchtigten Inhabers des Geschäftsgeheimnisses (beeinträchtigten Wettbewerbers) an, kann dahinstehen, ob dem zuzustimmen ist. Diese Beurteilung wäre jedenfalls nicht auf die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nach § 15 Abs. 2 Satz 2 GeschGehG zu übertragen.
Ein Erfolgsort am Sitz des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses lässt sich auch nicht aus Überlegungen zum Zuständigkeitsregime im Lauterkeitsrecht ableiten. Zwar beruht die Regelung in § 15 (insbes. Abs. 1) GeschGehG auf der Vorstellung des Gesetzgebers, dass Gemeinsamkeiten des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen mit dem Recht gegen den unlauteren Wettbewerb bestehen (BT-Drucks. 19/4724, S. 35). Indes ist auch im Lauterkeitsrecht selbst bei individuell einen Wettbewerber berührenden Zuwiderhandlungen nicht ohne Weiteres ein Erfolgsort an dessen Sitz gegeben. Soweit ein Verstoß gegen das Lauterkeitsrecht (wie etwa gegen § 4 Nr. 1 UWG) voraussetzt, dass die Handlung geeignet ist, die wettbewerblichen Interessen des Mitbewerbers auf dem fraglichen Markt zu beeinträchtigen, ist zwar etwa nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ein Gerichtsstand im Inland nur begründet, wenn sich der Internetauftritt bestimmungsgemäß auf den inländischen Markt auswirken soll. Schon insoweit kommt es indes gerade nicht darauf an, wo der betroffene Mitbewerber seinen gewöhnlichen Aufenthalt und Lebensmittelpunkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 – I ZR 131/12, juris Rn. 24; siehe auch Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. § 14 Rn. 18). Zwar wird mitunter angenommen, der Begehungsort könne auch am Belegenheitsort des „geschützten Rechtsgutes“ liegen, namentlich bei unlauteren Eingriffen mit Betriebsbezogenheit (Ehricke/Könen in MünchKommUWG, 3. Aufl., § 14 Rn. 69, 82 mwN). Dies mag in Fällen zutreffen, in denen die Auswirkungen auf den Betroffenen für die Feststellung des Rechtsverstoßes von Bedeutung sind, in denen also ohne gerade diesen Erfolg die Handlung nicht vollendet wäre (vgl. Tolkmitt in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl., § 14 Rn. 100; siehe auch Rn. 101 f). Dies kann auch der Fall sein, wenn sich eine Maßnahme gezielt gegen einen Mitbewerber richtet (individuelle Behinderung), so dass dann auf den Ort abzustellen ist, wo der Mitbewerber gehindert wird, tätig zu werden bzw. seine Leistung zur Geltung zu bringen (vgl. Tolkmitt in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl., § 14 Rn. 101). Auf solche Auswirkungen kommt es aber für die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen § 4 GeschGehG gerade nicht an.
Soweit der Bundesgerichtshof (Urteil vom 23. Oktober 1979 – KZR 21/78, GRUR 1980, 130 [juris Rn. 21] – Kfz-Händler) im Fall einer Boykottaufforderung die internationale Zuständigkeit u.a. daraus abgeleitet hat, dass die auf eine Beschränkung des Wettbewerbs gerichteten Handlungen jedenfalls hinsichtlich eines Teiles der Tatbestandsverwirklichung eine Beziehung zum Inland hatten, ergibt sich daraus nichts Anderes. Maßgeblich dafür war nämlich, dass sich weder ein Boykott noch ein zum Schadensersatz verpflichtender Verstoß gegen Art. 85 EWGV feststellen lassen, ohne dass die Maßnahme auf die Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation eines bestimmten Wettbewerbers abzielt. Ein solcher Erfolg in Gestalt der Beeinträchtigung des Betroffenen – wenigsten als Gegenstand eines subjektiven Tatbestandsmerkmals – ist bei den Handlungen nach § 4 GeschGehG nicht kennzeichnend. Aus der Rechtsprechung zum Erfolgsort bei verbotenen Kartellabsprachen (BGH, Beschluss vom 27. November 2018 – X ARZ 321/18, GRUR 2019, 213 Rn. 18) folgt ebenfalls nicht Anderes.
Die Überlegungen der Beschwerde zu Systematik und Sinn und Zweck der Vorschrift greifen nicht durch. Wie die Regelung in § 15 Abs. 1 Satz 1 GeschGehG zeigt, ging es dem Gesetzgeber insbesondere nicht darum, dem Inhaber des Geschäftsgeheimnisses eine Durchsetzung seiner Rechte an seinem Sitz zu ermöglich. Darin zeigt sich auch, dass der Gesetzgeber der Aufklärung der am Sitz des Geheimnisinhabers vorliegenden Tatumstände (etwa hinsichtlich der Entstehung des Geschäftsgeheimnisses) eher geringeres Gewicht beigemessen hat, als den Tatumständen der Begehung, an deren Ort in Ermangelung eines inländischen allgemeinen Gerichtsstands des Beklagten die Zuständigkeit nach § 15 Abs. 2 Satz 2 GeschGehG liegt. Die letztgenannte Regelung hat schon deshalb einen sinnvollen Anwendungsbereich, weil sie durch ausländische Personen im Inland begangene Handlungen erfasst. Umgekehrt ist nicht zu erkennen, dass es bei im Ausland begangenen Handlungen an einem Zugang zu den Gerichten fehlt. Dass § 15 Abs. 2 Satz 2 GeschGehG einen ausschließlichen örtlichen Gerichtsstand („nur“) anordnet, betrifft lediglich die Zuständigkeitsverteilung deutscher Gerichte und soll ersichtlich nicht etwa anderweitig begründete internationale Gerichtsstände derogieren. Soweit diese Vorschrift zugleich eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit begründet, folgt daraus nichts für etwaige (zusätzliche) Gerichtsstände im Ausland. Es ist auch nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber eine maximale Ausdehnung der deutschen Gerichtsbarkeit insbesondere auf sämtliche im Ausland begangenen Handlungen erreichen wollte, soweit das Geschäftsgeheimnis eines im Inland ansässigen Unternehmens betroffen ist. Dies wäre auch mit Blick darauf, dass in derartigen Fällen tatsächlicher Aufklärungsbedarf (insbesondere eine Beweisaufnahme) hinsichtlich der insbesondere streitträchtigen Frage der Zuwiderhandlung im Ausland zu erwarten wäre, nicht sachgerecht und entspräche gerade nicht dem Sinn eines deliktischen Gerichtsstands. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass hinsichtlich solcher Auslandshandlungen außerhalb Deutschlands kein Rechtsschutz zu erlangen wäre, etwa am Handlungsort oder am Sitz der Antragsgegner. Dies gilt unabhängig davon, ob das ausländische Gericht das Rechtsverhältnis nach deutschem oder ausländischem materiellem Recht zu beurteilen hat. Somit erfordern auch weder das durch die Beschwerde angeführte – allerdings schon mangels Verletzung des Geschäftsgeheimnisses durch die öffentliche Gewalt gar nicht einschlägige – Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG noch der – hier interessierende – allgemeine Justizgewährleistungsanspruch eine Auslegung, wonach § 15 Abs. 2 Satz 2 GeschGehG mangels Handlung oder Erfolg im Sinn von § 4 GeschGehG im Inland wenigstens einen Gerichtsstand am inländischen Sitz des Geheimnisinhabers bereitstellen müsste.
Kommentar:
Das Oberlandesgericht Karlsruhe entscheidet stark am Wortlaut dokumentiert, negiert aber die europäische Rechtsentwicklung im Deliktsrecht: Wie das Oberlandesgericht Düsseldorf (Urteil vom 21. November 2019 – I-2 U 34/19, juris Rn. 10 f) ausgeführt hat, kommt es für die Bestimmung des anwendbaren Rechts nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO, ggf. i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO auf den Sitz des beeinträchtigten Inhabers des Geschäftsgeheimnisses (beeinträchtigten Wettbewerbers) an. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO lautet:
„Soweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.“
Zwar geht es hier um die Bestimmung des anwendbaren Rechts, doch verliert im europäischen Kontext die typisch deutsche Unterscheidung zwischen Handlungs- und Erfolgsort an Bedeutung. Das europäische Recht knüpft zuvorderst am Erfolgsort an, nicht zuletzt Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO belegt:
„…, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;
Mit dem Oberlandesgericht Karlsruhe kann man nun den Erfolg der Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses schon der Handlung inhärent ansehen, man kann aber § 15 Abs. 2 S. 2 GeschGehG auch europäischer auslegen und den Erfolg analog Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, Art. 4 Abs. 2 Rom II-Verordnung (EG) Nr. 864/2007 am gewöhnlichen Aufenthaltsort der geschädigten Personen festmachen. Die Rechtsentwicklung scheint in diese Richtung zu gehen.

Dienstag, 17. Mai 2022

Schiedsvereinbarungen in Gesellschaften

Mit seinem Beschluss vom 23. September 2021 (I ZB 13/21 - Schiedsfähigkeit IV) hat der Bundesgerichtshof sich vielleicht letztmalig zur Schiedsfähigkeit bei Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften nach altem Recht geäußert. Insbesondere hält er fest, dass die in seiner Rechtsprechung zu Kapitalgesellschaften aufgestellten Anforderungen grundsätzlich nur für solche Personengesellschaften gelten, in denen Beschlussmängelstreitigkeiten gegen die Gesellschaft und nicht gegen die anderen Gesellschafter zu führen sind. Diese Rechtsprechung sollte durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz - MoPeG) stark modifiziert werden. Das Gesetz vom 10.08.2021 - BGBl. I 2021, Nr. 53 17.08.2021, S. 3436, tritt zum 1. Januar 2024 in Kraft.

Die Anforderungen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind bis jetzt:

  • Information jedes Gesellschafters über die Einleitung und den Verlauf des Schiedsverfahrens
  • Möglichkeit der Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter an der Auswahl und Bestellung der Schiedsrichter (außer bei neutraler Schiedsinstitution)
  • Konzentration aller denselben Streitgegenstand betreffenden Beschlussmängelstreitigkeiten bei einem Schiedsgericht

Grund für diese Anforderungen ist vor allem die Wirkung eines Urteils, das einen Beschluss für nichtig erklärt oder bestätigt. Ein solches Schiedsurteil wirkt für und gegen alle („inter omnes“). Demgemäß hielt der Bundesgerichtshof eine ihm vorgelegte Klausel führt teilweise unwirksam.

Mit dem MoPeG wird in §§ 111 ff. HGB ein ausführliches Prozesssystem zur Anfechtung oder Nichtigerklärung von Gesellschafterbeschlüssen in Personenhandelsgesellschaften, also offener Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft eingeführt. Nach der gesetzlichen Bestätigung der Teilrechtsfähigkeit der Personengesellschaft kennt aber auch der neue § 715b eine prozessuale Regelung der Gesellschafterklage. Vor allem § 113 HGB regelt die Anfechtungsklage, eine Regelung, die entsprechend auch auf die Nichtigkeitsklage anzuwenden ist. Er lautet:

§ 113 Anfechtungsklage

(1) Zuständig für die Anfechtungsklage ist ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat.

(2) Die Klage ist gegen die Gesellschaft zu richten. Ist außer dem Kläger kein Gesellschafter zur Vertretung der Gesellschaft befugt, wird die Gesellschaft von den anderen Gesellschaftern gemeinsam vertreten.

(3) Die Gesellschaft hat die Gesellschafter unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten. Ferner hat sie das Gericht über die erfolgte Unterrichtung in Kenntnis zu setzen. Das Gericht hat auf eine unverzügliche Unterrichtung der Gesellschafter hinzuwirken.

(4) Die mündliche Verhandlung soll nicht vor Ablauf der Klagefrist stattfinden. Mehrere Anfechtungsprozesse sind zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden.

(5) Den Streitwert bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung der Sache für die Parteien, nach billigem Ermessen.

(6) Soweit der Gesellschafterbeschluss durch rechtskräftiges Urteil für nichtig erklärt worden ist, wirkt das Urteil für und gegen alle Gesellschafter, auch wenn sie nicht Partei sind.

Insbesondere die Absätze 3, 4 und 6 werden Einfluss auf die Ausgestaltung von Schiedsklauseln haben. Die Klagefrist nach Abs. 4 S. 1 beträgt grundsätzlich 3 Monate ab Bekanntgabe des Beschlusses, § 112 Abs. 1 und 2 HGB. Selbstredend fehlt eine Vorschrift zur Mitwirkung bei der Besetzung des Gerichts. Das Landgericht ist ein staatliches Gericht mit nicht zuletzt Berufsrichtern. Besonders die Verfahrensregeln im § 113 Abs. 3 HGB klingen ebenso wie in § 6 überlegt, sodass sie gegebenenfalls in einer Schiedsabrede wiederholt werden sollten. Gleiches gilt für § 113 Abs. 4 HGB. Es bleibt abzuwarten, wie die Schiedsinstitutionen auf diese Gesetzesänderung reagieren werden.

Freitag, 14. Januar 2022

Teleologische Reduktion des Deliktsstatuts bei gemeinschaftsweit einheitlichen Rechten des geistigen Eigentums nach Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO im Falle einer Rechtsverletzung in einem Drittstaat - OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2020 - 2 U 147/18

Bei der Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart geht es um das anwendbare Recht bei der Verletzung einer Unionsmarke. Die Klägerin produziert und vertreibt weltweit Parfüms unter verschiedenen Marken. Die Beklagte betreibt E-Commerce-Plattformen, die sich an den chinesischen Markt richten. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Unterlassung, Auskunft, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten wegen nach Ansicht der Klägerin markenrechtsverletzender Angebote, die Verkäufer auf den E-Commerce-Plattformen der Beklagten eingestellt hatten.

Welches materielle Recht muss angewandt werden? Für das einschlägige Deliktsstatut besagt Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO:

„Bei außervertraglichen Schuldverhältnissen aus einer Verletzung von gemeinschaftsweit einheitlichen Rechten des geistigen Eigentums ist auf Fragen, die nicht unter den einschlägigen Rechtsakt der Gemeinschaft fallen, das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Verletzung begangen wurde.“

Wie das Oberlandesgericht richtig festhält betreffen sämtliche Klaganträge der Klägerin die Verletzung einer Unionsmarke. Damit ist die Verordnung über die Gemeinschaftsmarke (VO (EG) Nr. 207/2009; im Folgenden GMV) bzw. über die Unionsmarke (VO (EU) 2017/1001; im Folgenden: UMV) anwendbar, wie sich aus Art. 129 Abs. 1 UMV i.V.m. Art. 124a UMV ergibt.

Ob die Angebote auf der Plattform der Beklagten, die Anlass für die geltend gemachten Unterlassungsansprüche der Klägerin sind, einen hinreichenden wirtschaftlich relevanten Bezug zum Unionsgebiet haben, spielt für die Frage, welches Recht anwendbar ist, nach Ansicht des Oberlandesgerichts keine Rolle. Der sog. "commercial effect" spiele nur eine Rolle bei der Frage, welche Reichweite bzw. welchen Anwendungsbereich das Unionsrecht hat. Das zeigten die Ausführungen des EuGH in dem einschlägigen Urteil vom 12.07.2011, C-324/09 (L'Oréal/eBay) in Rn. 58 ff., insbesondere Rn. 64, wo der EuGH ausführt, dass Websites und Anzeigen, die offensichtlich ausschließlich an Verbraucher in Drittstaaten gerichtet sind, gleichwohl aber im Gebiet der EU technisch zugänglich sind, nicht dem Unionsrecht unterliegen, und in Rn. 66, wo er vom Anwendungsbereich der Unionsnormen im Bereich des Markenschutzes spricht. Auch die OSCAR-Entscheidung des BGH vom 08.03.2012 (I ZR 75/10, GRUR 2012, 621) bestätige dies. Denn ausweislich des zweiten Leitsatzes dieser Entscheidung und den Ausführungen unter Rn. 34 ff. ist der wirtschaftlich relevante Inlandsbezug bei der Frage, ob eine zeichenrechtlich relevante Verletzungshandlung im Inland vorliegt, zu prüfen, nicht aber bei der Frage, ob überhaupt das nationale Markenrecht anwendbar ist.

Auf den Schadensersatzanspruch sei deshalb nicht chinesisches, sondern deutsches Recht anzuwenden. Nach Art. 129 Abs. 2 UMV wendet das Unionsmarkengericht in allen Markenfragen, die nicht durch die UMV erfasst werden, das geltende nationale Recht an. Schadensersatzansprüche sind nicht durch die UMV erfasst (Eisenführ/Overhage in Eisenführ/Schennen, aaO., Art. 101, Rn. 5).

Welches Recht das anwendbare Recht im Sinne von Art. 129 Abs. 2 UMV ist, ergäbe sich aus Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO (Eisenführ/Overhage, aaO., Art. 101, Rn. 10; Drexl in MüKo/BGB, Bd. XII, 7. Aufl. 2018, Teil 8, Internationales Immaterialgüterrecht, Rn. 141; Fezer/Koos, in Staudinger [2019] EGBGB , Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 959). Danach sei bei außervertraglichen Schuldverhältnissen aus einer Verletzung von gemeinschaftsweit einheitlichen Rechten des geistigen Eigentums auf Fragen, die nicht unter den einschlägigen Rechtsakt der Gemeinschaft fallen, das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Verletzung begangen wurde. Das danach bezeichnete Recht sei nach Art. 3 Rom II-VO auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist.

Der EuGH habe in dem Fall Nintendo/BigBen, der ein Geschmacksmuster betraf (Urteil vom 27.09.2017, C-24/16 und C-25/16), festgestellt, dass der Begriff des "Staates ..., in dem die Verletzung begangen wurde" sich von dem Kriterium in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO (Staat, "in dem der Schaden eintritt") unterscheide und dahingehend auszulegen sei, dass darunter der Staat zu verstehen sei, in dem die Verletzungshandlung begangen worden sei (aaO., Rn. 98). In einem Fall, in dem einem Wirtschaftsteilnehmer vorgeworfen werde, dass über seine Website ohne Zustimmung des Rechteinhabers Waren zum Kauf angeboten werden, sei der Ort des schadensbegründenden Ereignisses der Ort, an dem der Prozess der Veröffentlichung des Angebots durch den Wirtschaftsteilnehmer auf seiner Website in Gang gesetzt worden sei (aaO., Rn. 108).

Die Veröffentlichung der Angebote auf der Website der Beklagten hat unstreitig in China stattgefunden. Mithin wäre chinesisches Recht anwendbar. Ob das IPR Chinas eine Rückverweisung enthält, wäre nach Art. 24 Rom II-VO ausdrücklich unbeachtlich.

Der Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO sei nach gerichtlicher Ansicht jedoch teleologisch zu reduzieren, wenn - anders als in der oben zitierten Entscheidung des EuGH vom 27.09.2017, C-24/16 und C-25/16 - der Staat, in dem die Verletzungshandlung vorgenommen wurde, kein Mitgliedstaat der EU ist. Denn es sei nicht davon auszugehen, dass der europäische Gesetzgeber die Durchsetzung von Unionsschutzrechten nach dem Immaterialgüterrecht eines Drittstaats bestimmen wollte. Gegen eine solche Absicht spreche wesentlich der Umstand, dass der europäische Gesetzgeber mit der Richtlinie 2004/48/EG (im Folgenden: Durchsetzungs-RL) das Ziel verfolgt, die in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsvorschriften zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums einander anzunähern, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten (Erwägungsgrund 10). Beispielsweise haben die Mitgliedstaaten nach Art. 13 der Durchsetzungs-RL sicherzustellen, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechteinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat. Würden nun die Sanktionen zur Durchsetzung von Unionsschutzrechten nach dem Immaterialgüterrecht eines Drittstaats bestimmt werden, dann könnte das Unionsrecht entgegen dem mit der Durchsetzungs-RL verfolgten Ziel gerade keinen ausreichenden Rechtsschutz für Verletzungshandlungen, die Schäden im Gebiet der Europäischen Union verursachen, bieten. Sähe das Sachrecht des Drittstaats überhaupt keine Vorkehrungen für Nebenansprüche aus der Verletzung eines europäischen Rechtstitels vor, käme es sogar zu einem vollständigen Leerlauf der Verweisung (Grünberger in Hüßtege/Mansel, BGB - Band 6 Rom-Verordnungen, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 8, Rn. 68).

Der Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO sei daher teleologisch zu reduzieren. Die Vorschrift findet nur Anwendung, wenn der Staat, in dem die Verletzungshandlung vorgenommen wurde, ein Mitgliedstaat der EU ist, denn die Funktion der Vorschrift beschränkt sich auf eine unter Anknüpfung für das Territorium der EU (Drexl, aaO., Rn. 138; lediglich die Meinung Drexls referierend ohne eigene Stellungnahme Fezer/Koos, aaO., Rn. 966; zum selben Ergebnis - Nichtanwendbarkeit des Rechts des Drittstaats - führt die Ansicht Grünbergers aaO., Rn. 68, dass in diesen Fällen ausschließlich nach dem tatbestandlichen Handlungsortbegriff (Erfolgsort) anzuknüpfen sei).

Auf die Fälle des Handelns in einem Drittstaat - wie hier - sei sodann nach den klassischen kollisionsrechtlichen Prinzipien das sachnächste Recht eines Mitgliedstaates im Sinne einer Reserveanknüpfung zur Anwendung zu bringen (Drexl, ebenda). Das sachnächste Recht ist hier deutsches Recht. Denn eine Anknüpfung daran, in welchen EU-Staat wie viele Lieferungen erfolgt sind, ergäbe vor dem Hintergrund, dass die Rechtsverletzung in einem Angebot besteht und nicht in einer Lieferung, keinen Sinn. Und auf den Sitz des Markeninhabers könne nicht abgestellt werden, weil dieser außerhalb der EU liegt. Damit bleibe als einziger weiterer Anknüpfungspunkt der Sitz des Lizenznehmers, d.h. der Klägerin, der in Deutschland liegt.

Das Urteil ist zwiespältig: Dem Rechtsuchenden gibt es Brot und nicht Steine. Er erhält zumindest relativ einfach einen Titel, der allerdings gegebenenfalls noch außerhalb der EU zu vollstrecken wäre. Die Argumentation des Oberlandesgerichts verkennt indes, dass die Rom II-VO diskriminierungsfreie Kollisionsregeln aufstellt und nach Art. 3 Rom II-VO das nach dieser Verordnung bezeichnete Recht auch dann anzuwenden sei, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats sei. Der Rekurs auf den Effet utile in Form der teleologischen Reduktion wirkt hier gegenüber dem chinesischen Recht doch ein wenig chauvinistisch.


Mittwoch, 15. Dezember 2021

US-Trust gilt nicht als Beschenkter beim Pflichtteilsergänzungsanspruch

Rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Stuttgart (28 U 98/15) verneint die Möglichkeit der Rückforderung eines Geschenks an einen Trust in Florida

Soweit der Erbe zur Ergänzung des Pflichtteils nicht verpflichtet ist, kann der Pflichtteilsberechtigte von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks zum Zwecke der Befriedigung wegen des fehlenden Betrags nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern (§ 2329 Abs. 1 S. BGB)

Der Kläger ist der enterbte Sohn des Erblassers. Dieser hatte im US-Bundesstaat Florida einen widerruflichen Trust gegründet und ihm erhebliches Barvermögen zugewandt. Das Vermögen des Trusts wurde schließlich in einem amerikanischen Verfahren an einen begünstigten Dritten übertragen.

Im Rahmen der Nachlassspaltung macht der Kläger nach deutschem Recht die Ergänzung seines beeinträchtigten Pflichtteils durch Herausgabe eines Teils dieser Barzuwendung geltend.

Das Landgericht bejaht zwar die Anwendbarkeit deutschen Rechts, doch sieht es keine Schenkung im Sinne von § 2329 BGB. Diese Schenkung müsse endgültig ein. Es dürfe nicht lediglich um einen Durchgangserwerb zur Weiterleitung an einen Begünstigten handeln. Anders als bei einer Stiftung, die selbstständig entscheide, wie die zugewandten Gelder zu verwenden seien, wäre der Trust hier derart gebunden, wie das Vermögen an dem begünstigten Dritten weiterzuleiten sei, dass wirtschaftlich nicht von einem Beschenkten die Rede sein könne.

Das Urteil ist vertretbar, doch missachtet es die Schutzbedürftigkeit des Pflichtteilsberechtigten. Ein Verfahren in den USA zur Abwicklung eines solchen Trusts kann sich über Jahre hinziehen. Währenddessen muss der Pflichtteilsberechtigte abwarten. Überzeugender wäre die Bejahung der Qualität des Beschenkten gewesen mit dem Korrektiv des Wegfalls der Bereicherung, wie es § 2329 BGB ohnehin mit seinem Verweis auf das Bereicherungsrecht vorsieht. Sobald also das Vermögen an den Begünstigten weitergeleitet wurde, ginge der Anspruch außer bei Bösgläubigkeit ins Leere.


Die Gesellschaft gemäß §§ 705 ff. BGB unterscheidet sich von der Gemeinschaft gemäß § 741 ff. BGB durch die vertraglich verein-barte Verpflichtung, über die gemeinschaftliche Berechtigung an den gemeinsamen Gegenständen hinaus einen gemeinsamen Zweck zu fördern. Die Gemeinschaft ist dagegen „Interessenge-meinschaft ohne Zweckgemeinschaft“

Maßgebend dafür, ob im konkreten Fall eine Gesellschaft oder eine Bruchteilsgemeinschaft begründet wurde, ist nach Ansicht des Oberlandesgericht Stuttgart (14 U 7/20) der Parteiwille.

Die Parteien streiten um die Rechtsverhältnisse an einer in den 70er Jahren errichteten, ursprünglich auf dem Grundstück der Beklagten zu 2 befindlichen Heizanlage, welche bis vor einigen Jahren drei Wohnungseigentümergemeinschaften, nämlich die Klägerin, die Beklagte zu 2 und eine nicht am Rechtsstreit beteiligte Wohnungseigentümergemeinschaft, sowie einen Kindergarten mit Heizung und Warmwasser versorgt hatte.

Rechtliche Grundlage für die Errichtung der Heizanlage war eine Vorgabe im Bebauungsplan der Gemeinde Altbach vom 29.10.1971, wonach die entstehenden Geschossbauten an die geplante Heizanlage anzuschließen waren. In der Folge schloss die Gemeinde mit den Bauträgern einen notariellen Vertrag (sog. Heizvertrag vom 16.05.1972), der Errichtung und Betrieb dieser Heizzentrale näher regelte. Teilweise erfolgte eine Besicherung der dort verankerten Rechte und Pflichten mit Grunddienstbarkeiten.

Die Klägerin erhebt Anspruch auf die anteilige Instandhaltungsrücklage, den anteiligen Wert des Heizölbestands sowie ein Abrechnungsguthaben.

Das Oberlandesgericht verneint bereits die Zulässigkeit der vorliegenden Klage, weil es an der notwendigen, gemäß § 56 ZPO von Amts wegen zu prüfenden Prozessvoraussetzung der Parteifähigkeit der Gemeinschaft Heizzentrale fehle. Hierzu führt es insbesondere wie folgt aus:

Parteifähig ist nach § 50 Abs. 1 ZPO, wer rechtsfähig ist. Während die Bruchteilsgemeinschaft nach §§ 741 ff BGB nicht Träger von Rechten und Pflichten sein kann, kommt der im Rechtsverkehr auftretenden Außengesellschaft nach §§ 705 ff. BGB Rechtsfähigkeit zu.

Für eine Gemeinschaft spricht zuvörderst der Wortlaut des sog. Heizvertrags, der an verschiedenen Stellen ausdrücklich von der „Gemeinschaft" spricht, nicht hingegen von einer Gesellschaft. Anhaltspunkte dafür, dass es sich hierbei um eine zufällige, unüberlegte Wortwahl handeln könnte, liegen nicht vor, zumal der Heizvertrag notariell beurkundet wurde.

Die Vereinbarung der analogen Anwendbarkeit bestimmter Regelungen des WEG-Rechts passt eher zur Gemeinschaft denn zur Gesellschaft. Auch ist die subsidiäre Anwendung des Gemeinschaftsrechts angeordnet.

Die Vertragsschließenden wollten die freie Übertragbarkeit des „Anteils" an der Heizzentrale.

Die Parteien haben die Unauflöslichkeit der Gemeinschaft vereinbart. Das Gemeinschaftsrecht gestattet einen solchen Ausschluss des Aufhebungsrechts im Rahmen der Bestimmung von § 749 Abs. 2 BGB; die Gesellschaft verbietet dagegen den Ausschluss des Kündigungsrechts (§ 723 Abs. 3 BGB).

Für die Annahme einer Gesellschaft könnte sprechen, wenn die Verfolgung eines gemeinsamen Ziels, das über die bloße Nutzung der Heizanlage hinausginge, verabredet worden wäre. Das gemeinsame „Innehaben" der Heizzentrale, das auch die Gemeinschaft kennzeichnet, gehöre nicht dazu. Ein übergeordneter Zweck - wie z. B. die Absicht der Gewinnerzielung, die Absicht, zur Verbreitung solcher Heizanlagen beizutragen etc. - ist damit nicht verknüpft. Inwieweit die bloße gemeinsame Nutzung einen tauglichen Gesellschaftszweck darstellen kann, kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Denn sie bildet jedenfalls keinen ausschlaggebenden Hinweis auf die Absicht einer Gesellschaftsgründung, weil sie bei der Begründung einer Gemeinschaft in gleicher Weise gegeben wäre.

Das Gericht verweist auf seine frühere Entscheidung (Urteil vom 12.01.2005, 3 U 167/04) sowie das OLG Karlsruhe (Urteil vom 12.07.1991, 9 U 87/90), die ebenfalls Eigentümergemeinschaften angenommen hätten.

Das Urteil mag vertretbar sein; es überzeugt aber weder bei der Frage, an welchem Recht eine Eigentümergemeinschaft gebildet worden sei, noch lässt diese Qualifikation eine praktikable Lösung der rechtlichen Probleme einer in die Jahre gekommenen Heizungsanlage eines Mehrfamilienhauses zu. Das Gericht selbst spricht von „Anteilen“ an der Heizzentrale. Was dieser Anteil umfasst, lässt das Gericht offen. Ein Anteil am Eigentum wäre im Grundbuch einzutragen. Eine Heizungsanlage ist gemäß § 94 BGB wesentlicher Bestandteil des Grundstücks. Die weiter vom Gericht genannten „Rechte und Pflichten an der Heizzentrale“ bleiben nebulös. Gerade aber ein Anschlussrecht an die Heizungsanlage einschließlich gemeinsamer Verwaltung legt aber auch den übergeordneten Zweck für die Annahme einer Gesellschaft nahe. Es geht eben nicht um die bloße Nutzung der Heizungsanlage, sondern um das gemeinsame Betreiben z. B. durch Brennstoffbeschaffung oder Vergabe der Verwaltung. Dieses Betreiben muss entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht der Gewinnerzielung dienen, sondern kann sich auch in der Kostenoptimierung zugunsten aller beschränken.

Praktikabel ist die vom Oberlandesgericht angebotene Lösung allemal nicht. Bei ursprünglich 154 Bruchteilseigentümern vor nahezu 50 Jahren lassen sich die heutigen Bruchteilseigentümer kaum noch feststellen. Ohne Grundbuch, also ausschließlich anhand der nichtöffentlichen Dokumentation der vertraglichen Übertragung des Bruchteilseigentums gerät jeder Versuch, eine Änderung des ursprünglichen Brucheigentumsvertrages oder gar seine gerichtliche Beendigung herbeizuführen, zu einem Schuss in den Nebel. Bei einer Aufhebung gemäß § 749 BGB muss entweder jeder Miteigentümer zustimmen oder verklagt werden. Das Kostenrisiko bei einer Klage gegen 153 andere ist auch vor dem Amtsgericht kaum von der Hand zu weisen. Bei Beteiligung der Wohnungseigentümergemeinschaften in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts könnte dementgegen Streitigkeiten durch die stellvertretend auftretenden Verwalter relativ einfach ausgefochten werden, zumal die Verwalter tagtäglich mit den Fragen der Hausverwaltung befasst sind.

Selbstverständlich gilt, dass jeder sein Recht dort zu suchen hat, wo er es gelassen hat. Allerdings sollte gute Rechtsprechung eher Brot als Steine liefern.


Dienstag, 5. Oktober 2021

Sitztheorie oder nicht, das ist hier die Frage

 

Bundesgerichtshof (II ZB 25/17) ergreift mit Beschluss vom 15. Juni 2021 vielleicht ein letztes Mal Partei für die Sitztheorie

„Die Anmeldung einer Eintragung in das Handelsregister ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 HGB mit einem einfachen elektronischen Zeugnis eines Notars gemäß § 39a BeurkG elektronisch einzureichen. Die Einreichung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Ausstellers der Anmeldung gemäß § 126a BGB reicht nicht aus“

lautet der eher triviale Tenor der Entscheidung. Worum ging es?

Eine englische Limited hatte im März 2014 beim Amtsgericht Frankfurt am Main die Eintragung einer Zweigniederlassung in das Handelsregister angemeldet. Das Registergericht hat der Beteiligten mit Zwischenverfügung vom 11. Juni 2014 mitgeteilt, der Anmeldung könne nicht entsprochen werden, weil sie nicht mit dem nach § 39a BeurkG i.V.m. § 12 Abs. 2 HGB erforderlichen elektronischen Zeugnis versehen sei, der Gesellschaftsvertrag der Beteiligten in öffentlich beglaubigter Form nebst Übersetzung nicht beigefügt sei, die Höhe des Stammkapitals der Beteiligten nicht angegeben werde und es an der Versicherung des directors der Beteiligten über seine Belehrung betreffend seine unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht betreffend etwaige Bestellungshindernisse gemäß § 13g Abs. 2 Satz 2 HGB i.V.m. § 8 Abs. 3 GmbHG fehle.

Der Bundesgerichtshof führt aus:

„Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die Eintragungsanmeldung der Beteiligten nach § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 HGB mit einem einfachen elektronischen Zeugnis gemäß § 39a BeurkG einzureichen ist und die Übersendung mit der qualifizierten elektronischen Signatur ihres directors nicht ausreicht. Für das inländische Registerverfahren und damit auch für die Eintragung einer Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft in das Handelsregister gilt deutsches Registerverfahrensrecht.

Ohne Erfolg wendet sich die Beteiligte weiter gegen die Annahme des Beschwerdegerichts, dass sie nach § 13g Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 HGB zwar nicht zur Vorlage der von ihr unverändert als Satzung übernommenen model articles, wohl aber ihres memorandum of association in öffentlich beglaubigter Abschrift nebst beglaubigter Übersetzung verpflichtet ist…

Die Verpflichtung zur Vorlage des memorandum of association in öffentlich beglaubigter Abschrift nebst beglaubigter Übersetzung verstößt entgegen der Ansicht der Beteiligten schließlich nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Gesellschaftsrechtsrichtlinie) betreffend die Offenlegung von Angaben und Urkunden von Zweigniederlassungen… die Beteiligte gehört nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und dem Ablauf des im Austrittsabkommen vereinbarten Übergangszeitraums nicht mehr zu den Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 29, sondern zu den Gesellschaften aus einem Drittstaat im Sinne von Art. 36 der Gesellschaftsrechtsrichtlinie, deren Offenlegungspflichten in Art. 37 ff. der Richtlinie geregelt sind… eine Behinderung der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49, 54 AEUV greift bereits deshalb nicht, weil die Beteiligte sich nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann…

Danach steht es den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie grundsätzlich frei, bei Gesellschaften aus Drittstaaten über die in Art. 37 genannten Mindestangaben hinaus weitere Offenlegungsmaßnahmen vorzusehen.“

Gerade dieser letzte Satz lässt sich nur mit dem Festhalten des Bundesgerichtshofs an der sogenannten Sitztheorie erklären. Eine Gesellschaft darf danach nur dort registriert bzw. errichtet werden, wo sie ihren effektiven Sitz hat. Eine ausländische Gesellschaft verliert, Sie Ihre Registrierung und damit oft das Privileg fehlende Haftung der Gesellschafter bei Verlegung des effektiven Sitzes ins Inland. Hier müsste die Anmeldung zum Handelsregister erneut durchgeführt werden, um nicht regelmäßig als offene Handelsgesellschaft (OHG) mit unbeschränkter Haftung der Gesellschafter zu gelten. Demgegenüber vertritt die Gründungstheorie die Auffassung, dass es alleine darauf ankommt, ob die Gesellschaft in einem Land wirksam gegründet worden ist. Mit der wirksamen Gründung erlangt die Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit, die sie auch dann behält, wenn sie ihren effektiven Sitz ins Ausland verlegt. Die Gründungstheorie ermöglicht dadurch Sitzverlegungen über die Grenze unter Beibehaltung des Gründungsstatus.

Anderenfalls hätte der Bundesgerichtshof eine Privilegierung der Anmeldung der Zweigniederlassung nach der Gründungstheorie diskutieren müssen. Jenseits der europäischen Niederlassungsfreiheit bedeutete die Gründungstheorie das Anerkenntnis des Gesellschaftsrechts des Staates, in dem die Gesellschaft gegründet wurde.

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz - MoPeG) vom 10. August 2021 hat der deutsche Gesetzgeber die Sitztheorie in Rente geschickt und der Gründungstheorie Tür und Tor geöffnet (BT-Drucksache 19/27635, S. 126 f.). Nach dem neuen § 706 BGB können jetzt auch Personengesellschaften ihren Verwaltungssitz ins Ausland verlegen, was Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften schon seit mehreren Jahren („MoMiG“) möglich ist. Der Bundesgerichtshof wird deshalb sein Dafürhalten für die Sitztheorie, z.B. BGH, Urteil vom 27. 10. 2008 – II ZR 158/06, kaum noch aufrechterhalten können. Jedenfalls wäre der Begründungsaufwand hoch: Nur der Wegzug deutscher Gesellschaften sei privilegiert, nicht aber der Zuzug ausländischer Gesellschaften. Das lässt sich nur schwer hören.

Die Diskussion über die Auslegung des am 30. Dezember 2020 zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich geschlossenen Handels- und Kooperationsabkommen insoweit, ob britische Kapitalgesellschaften weiterhin in Deutschland anzuerkennen seien, wird sich damit unter Umständen in Luft auflösen: Bereits die Gründungstheorie verlangt eine solche Anerkennung.