Bundesgerichtshof
(II ZB 25/17) ergreift mit Beschluss vom 15. Juni 2021 vielleicht ein letztes
Mal Partei für die Sitztheorie
„Die Anmeldung
einer Eintragung in das Handelsregister ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
Satz 2 Halbsatz 2 HGB mit einem einfachen elektronischen Zeugnis eines Notars
gemäß § 39a BeurkG elektronisch einzureichen. Die Einreichung mit einer
qualifizierten elektronischen Signatur des Ausstellers der Anmeldung gemäß §
126a BGB reicht nicht aus“
lautet der eher
triviale Tenor der Entscheidung. Worum ging es?
Eine englische
Limited hatte im März 2014 beim Amtsgericht Frankfurt am Main die Eintragung
einer Zweigniederlassung in das Handelsregister angemeldet. Das Registergericht
hat der Beteiligten mit Zwischenverfügung vom 11. Juni 2014 mitgeteilt, der
Anmeldung könne nicht entsprochen werden, weil sie nicht mit dem nach § 39a
BeurkG i.V.m. § 12 Abs. 2 HGB erforderlichen elektronischen Zeugnis versehen
sei, der Gesellschaftsvertrag der Beteiligten in öffentlich beglaubigter Form
nebst Übersetzung nicht beigefügt sei, die Höhe des Stammkapitals der
Beteiligten nicht angegeben werde und es an der Versicherung des directors der
Beteiligten über seine Belehrung betreffend seine unbeschränkte Auskunftspflicht
gegenüber dem Gericht betreffend etwaige Bestellungshindernisse gemäß § 13g
Abs. 2 Satz 2 HGB i.V.m. § 8 Abs. 3 GmbHG fehle.
Der
Bundesgerichtshof führt aus:
„Das
Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die Eintragungsanmeldung der Beteiligten
nach § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 HGB mit einem einfachen
elektronischen Zeugnis gemäß § 39a BeurkG einzureichen ist und die Übersendung
mit der qualifizierten elektronischen Signatur ihres directors nicht ausreicht.
Für das inländische Registerverfahren und damit auch für die Eintragung einer
Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft in das Handelsregister gilt
deutsches Registerverfahrensrecht.
Ohne Erfolg
wendet sich die Beteiligte weiter gegen die Annahme des Beschwerdegerichts,
dass sie nach § 13g Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 HGB zwar nicht zur Vorlage der von
ihr unverändert als Satzung übernommenen model articles, wohl aber ihres
memorandum of association in öffentlich beglaubigter Abschrift nebst
beglaubigter Übersetzung verpflichtet ist…
Die
Verpflichtung zur Vorlage des memorandum of association in öffentlich
beglaubigter Abschrift nebst beglaubigter Übersetzung verstößt entgegen der
Ansicht der Beteiligten schließlich nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie
(EU) 2017/1132 (Gesellschaftsrechtsrichtlinie) betreffend die Offenlegung von
Angaben und Urkunden von Zweigniederlassungen… die Beteiligte gehört nach dem
Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und dem Ablauf
des im Austrittsabkommen vereinbarten Übergangszeitraums nicht mehr zu den
Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 29, sondern zu den
Gesellschaften aus einem Drittstaat im Sinne von Art. 36 der
Gesellschaftsrechtsrichtlinie, deren Offenlegungspflichten in Art. 37 ff. der
Richtlinie geregelt sind… eine Behinderung der Niederlassungsfreiheit gemäß
Art. 49, 54 AEUV greift bereits deshalb nicht, weil die Beteiligte sich nicht
mehr auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann…
Danach steht es
den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie grundsätzlich frei, bei Gesellschaften aus
Drittstaaten über die in Art. 37 genannten Mindestangaben hinaus weitere Offenlegungsmaßnahmen
vorzusehen.“
Gerade dieser
letzte Satz lässt sich nur mit dem Festhalten des Bundesgerichtshofs an der sogenannten
Sitztheorie erklären. Eine Gesellschaft
darf danach nur dort registriert bzw. errichtet werden, wo sie ihren effektiven
Sitz hat. Eine ausländische Gesellschaft verliert, Sie Ihre Registrierung und
damit oft das Privileg fehlende Haftung der Gesellschafter bei Verlegung des
effektiven Sitzes ins Inland. Hier müsste die Anmeldung zum Handelsregister
erneut durchgeführt werden, um nicht regelmäßig als offene Handelsgesellschaft
(OHG) mit unbeschränkter Haftung der Gesellschafter zu gelten. Demgegenüber
vertritt die Gründungstheorie die
Auffassung, dass es alleine darauf ankommt, ob die Gesellschaft in einem Land
wirksam gegründet worden ist. Mit der wirksamen Gründung erlangt die
Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit, die sie auch dann behält, wenn sie ihren
effektiven Sitz ins Ausland verlegt. Die Gründungstheorie ermöglicht dadurch
Sitzverlegungen über die Grenze unter Beibehaltung des Gründungsstatus.
Anderenfalls
hätte der Bundesgerichtshof eine Privilegierung der Anmeldung der
Zweigniederlassung nach der Gründungstheorie diskutieren müssen. Jenseits der
europäischen Niederlassungsfreiheit bedeutete die Gründungstheorie das
Anerkenntnis des Gesellschaftsrechts des Staates, in dem die Gesellschaft
gegründet wurde.
Mit dem Gesetz
zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz - MoPeG) vom 10.
August 2021 hat der deutsche Gesetzgeber die Sitztheorie in Rente geschickt und
der Gründungstheorie Tür und Tor geöffnet (BT-Drucksache 19/27635, S. 126 f.).
Nach dem neuen § 706 BGB können jetzt auch Personengesellschaften ihren
Verwaltungssitz ins Ausland verlegen, was Gesellschaften mit beschränkter
Haftung und Aktiengesellschaften schon seit mehreren Jahren („MoMiG“) möglich
ist. Der Bundesgerichtshof wird deshalb sein Dafürhalten für die Sitztheorie,
z.B. BGH, Urteil vom 27. 10. 2008 – II ZR 158/06, kaum noch aufrechterhalten
können. Jedenfalls wäre der Begründungsaufwand hoch: Nur der Wegzug deutscher
Gesellschaften sei privilegiert, nicht aber der Zuzug ausländischer
Gesellschaften. Das lässt sich nur schwer hören.
Die Diskussion
über die Auslegung des am 30. Dezember 2020 zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich geschlossenen Handels- und Kooperationsabkommen
insoweit, ob britische Kapitalgesellschaften weiterhin in Deutschland anzuerkennen
seien, wird sich damit unter Umständen in Luft auflösen: Bereits die Gründungstheorie
verlangt eine solche Anerkennung.
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