Dienstag, 5. Oktober 2021

Sitztheorie oder nicht, das ist hier die Frage

 

Bundesgerichtshof (II ZB 25/17) ergreift mit Beschluss vom 15. Juni 2021 vielleicht ein letztes Mal Partei für die Sitztheorie

„Die Anmeldung einer Eintragung in das Handelsregister ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 HGB mit einem einfachen elektronischen Zeugnis eines Notars gemäß § 39a BeurkG elektronisch einzureichen. Die Einreichung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Ausstellers der Anmeldung gemäß § 126a BGB reicht nicht aus“

lautet der eher triviale Tenor der Entscheidung. Worum ging es?

Eine englische Limited hatte im März 2014 beim Amtsgericht Frankfurt am Main die Eintragung einer Zweigniederlassung in das Handelsregister angemeldet. Das Registergericht hat der Beteiligten mit Zwischenverfügung vom 11. Juni 2014 mitgeteilt, der Anmeldung könne nicht entsprochen werden, weil sie nicht mit dem nach § 39a BeurkG i.V.m. § 12 Abs. 2 HGB erforderlichen elektronischen Zeugnis versehen sei, der Gesellschaftsvertrag der Beteiligten in öffentlich beglaubigter Form nebst Übersetzung nicht beigefügt sei, die Höhe des Stammkapitals der Beteiligten nicht angegeben werde und es an der Versicherung des directors der Beteiligten über seine Belehrung betreffend seine unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht betreffend etwaige Bestellungshindernisse gemäß § 13g Abs. 2 Satz 2 HGB i.V.m. § 8 Abs. 3 GmbHG fehle.

Der Bundesgerichtshof führt aus:

„Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die Eintragungsanmeldung der Beteiligten nach § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 HGB mit einem einfachen elektronischen Zeugnis gemäß § 39a BeurkG einzureichen ist und die Übersendung mit der qualifizierten elektronischen Signatur ihres directors nicht ausreicht. Für das inländische Registerverfahren und damit auch für die Eintragung einer Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft in das Handelsregister gilt deutsches Registerverfahrensrecht.

Ohne Erfolg wendet sich die Beteiligte weiter gegen die Annahme des Beschwerdegerichts, dass sie nach § 13g Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 HGB zwar nicht zur Vorlage der von ihr unverändert als Satzung übernommenen model articles, wohl aber ihres memorandum of association in öffentlich beglaubigter Abschrift nebst beglaubigter Übersetzung verpflichtet ist…

Die Verpflichtung zur Vorlage des memorandum of association in öffentlich beglaubigter Abschrift nebst beglaubigter Übersetzung verstößt entgegen der Ansicht der Beteiligten schließlich nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Gesellschaftsrechtsrichtlinie) betreffend die Offenlegung von Angaben und Urkunden von Zweigniederlassungen… die Beteiligte gehört nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und dem Ablauf des im Austrittsabkommen vereinbarten Übergangszeitraums nicht mehr zu den Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 29, sondern zu den Gesellschaften aus einem Drittstaat im Sinne von Art. 36 der Gesellschaftsrechtsrichtlinie, deren Offenlegungspflichten in Art. 37 ff. der Richtlinie geregelt sind… eine Behinderung der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49, 54 AEUV greift bereits deshalb nicht, weil die Beteiligte sich nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann…

Danach steht es den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie grundsätzlich frei, bei Gesellschaften aus Drittstaaten über die in Art. 37 genannten Mindestangaben hinaus weitere Offenlegungsmaßnahmen vorzusehen.“

Gerade dieser letzte Satz lässt sich nur mit dem Festhalten des Bundesgerichtshofs an der sogenannten Sitztheorie erklären. Eine Gesellschaft darf danach nur dort registriert bzw. errichtet werden, wo sie ihren effektiven Sitz hat. Eine ausländische Gesellschaft verliert, Sie Ihre Registrierung und damit oft das Privileg fehlende Haftung der Gesellschafter bei Verlegung des effektiven Sitzes ins Inland. Hier müsste die Anmeldung zum Handelsregister erneut durchgeführt werden, um nicht regelmäßig als offene Handelsgesellschaft (OHG) mit unbeschränkter Haftung der Gesellschafter zu gelten. Demgegenüber vertritt die Gründungstheorie die Auffassung, dass es alleine darauf ankommt, ob die Gesellschaft in einem Land wirksam gegründet worden ist. Mit der wirksamen Gründung erlangt die Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit, die sie auch dann behält, wenn sie ihren effektiven Sitz ins Ausland verlegt. Die Gründungstheorie ermöglicht dadurch Sitzverlegungen über die Grenze unter Beibehaltung des Gründungsstatus.

Anderenfalls hätte der Bundesgerichtshof eine Privilegierung der Anmeldung der Zweigniederlassung nach der Gründungstheorie diskutieren müssen. Jenseits der europäischen Niederlassungsfreiheit bedeutete die Gründungstheorie das Anerkenntnis des Gesellschaftsrechts des Staates, in dem die Gesellschaft gegründet wurde.

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz - MoPeG) vom 10. August 2021 hat der deutsche Gesetzgeber die Sitztheorie in Rente geschickt und der Gründungstheorie Tür und Tor geöffnet (BT-Drucksache 19/27635, S. 126 f.). Nach dem neuen § 706 BGB können jetzt auch Personengesellschaften ihren Verwaltungssitz ins Ausland verlegen, was Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften schon seit mehreren Jahren („MoMiG“) möglich ist. Der Bundesgerichtshof wird deshalb sein Dafürhalten für die Sitztheorie, z.B. BGH, Urteil vom 27. 10. 2008 – II ZR 158/06, kaum noch aufrechterhalten können. Jedenfalls wäre der Begründungsaufwand hoch: Nur der Wegzug deutscher Gesellschaften sei privilegiert, nicht aber der Zuzug ausländischer Gesellschaften. Das lässt sich nur schwer hören.

Die Diskussion über die Auslegung des am 30. Dezember 2020 zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich geschlossenen Handels- und Kooperationsabkommen insoweit, ob britische Kapitalgesellschaften weiterhin in Deutschland anzuerkennen seien, wird sich damit unter Umständen in Luft auflösen: Bereits die Gründungstheorie verlangt eine solche Anerkennung.

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