Mittwoch, 12. Mai 2021

Welches Gericht ist zuständig bei Klagen im Zusammenhang mit dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland? Welches Recht gilt?

Das Vereinigte Königreich ist durch den BREXIT zum Drittstaat im Sinne der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („EuGVVO“) geworden. Der Wohnsitz des Beklagten, nach dem oft unterschieden wird, ist damit nicht mehr innerhalb der Union.

1. §§ 12 ff. ZPO?

Gemäß Art. 6 EuGVVO bestimmt sich bei fehlendem Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats grundsätzlich nach dessen eigenem Recht. In Deutschland bestimmen die ZPO-Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit allgemein auch die internationale Zuständigkeit. Damit lebte insbesondere auch der Gerichtsstand des Vermögens gemäß § 23 ZPO im Hinblick auf britische Parteien wieder auf:

„Für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, die im Inland (= EU) keinen Wohnsitz hat, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich Vermögen derselben oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand befindet.“

Nicht vollständig unbeachtliches Vermögen in Deutschland führt also zu einer Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Die Pflicht zur Stellung einer Prozesskostensicherheit gemäß § 110 ZPO trifft nun auch britische Kläger.

„Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit“

Auch die Anerkennung und Vollstreckung gemäß §§ 328, 722 ZPO ist erheblich umständlicher.

2. EuGVÜ?

Andererseits könnte auch das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 wieder mit Leben erfüllt worden sein. Eigentlich gingen alle Mitgliedstaaten der Union davon aus, dass dieser völkerrechtliche Vertrag auch ohne förmliche Aufhebung durch die EuGVVO nicht mehr angewendet würde. Die Entscheidung hierüber obliegt aber dem angerufenen Gericht. Spannend wird diese Frage spätestens deshalb, weil der Europäische Gerichtshof zur Auslegung dieses Übereinkommens auch im Hinblick auf das Vereinigte Königreich berufen ist. Inhaltlich unterscheiden sich EuGVÜ und EuGVVO mittlerweile beträchtlich vor allem im Hinblick auf die Abschaffung des Exequaturverfahren sowie die Regelungen zum lis pendens zur Verhinderung sogenannter Torpedoklagen.

In Zukunft könnte ein Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Lugano-Übereinkommen eine Linderung dieser Auslegungsfragen bringen, da es wenigstens der Vorgänger-Verordnung des EuGVVO entspricht.

3. Haager Übereinkommen 2005?

Durch das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30. Juni 2005 kann zumindest für ausschließliche Prorogationen zwischen Unternehmen Sicherheit in deutsch-britischen Gerichtsverfahren erreicht werden. Beide Staaten sind Vertragspartei. Anerkennung und Vollstreckung in Deutschland erfolgen nach den Vorschriften des AVAG. Ein Exequaturverfahren ist nicht erforderlich, sondern nur ein Vollstreckungsantrag des Gläubigers.

4. Sonstige Abkommen

Für die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke sowie die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen finden die Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 bzw. 18. März 1970 Anwendung. Zusätzlich könnte das deutsch-britische Abkommen vom 20. März 1928 über den Rechtsverkehr beachtet werden.

5. Anwendbares Recht

Was das materielle Recht betrifft, so sind vor allem die Vorschriften nach den Rom I und II-Verordnungen ohne weiteres nur auf Sachverhalte anwendbar, in denen der Vertragsschluss oder das schadensbegründende Ereignis sich vor dem 1. Januar 2021 ereigneten. Zu beachten ist dabei wie schon immer, dass das Vereinigte Königreich nie Vertragsstaat des UN-Kaufrecht (CISG) geworden ist. Für Sachverhalte ab dem 1. Januar 2021 geltend aus deutscher Sicht grundsätzlich auch die Rom I und II-Verordnungen, doch auch hier stellt sich im Verhältnis zu Rom I die Frage, ob das vorhergehende Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 („EVÜ“) wieder auflebt. Das Vereinigte Königreich und Deutschland sind Parteien des Übereinkommens. Eine förmliche Kündigung gab es nicht.