Dienstag, 17. Mai 2022

Schiedsvereinbarungen in Gesellschaften

Mit seinem Beschluss vom 23. September 2021 (I ZB 13/21 - Schiedsfähigkeit IV) hat der Bundesgerichtshof sich vielleicht letztmalig zur Schiedsfähigkeit bei Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften nach altem Recht geäußert. Insbesondere hält er fest, dass die in seiner Rechtsprechung zu Kapitalgesellschaften aufgestellten Anforderungen grundsätzlich nur für solche Personengesellschaften gelten, in denen Beschlussmängelstreitigkeiten gegen die Gesellschaft und nicht gegen die anderen Gesellschafter zu führen sind. Diese Rechtsprechung sollte durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz - MoPeG) stark modifiziert werden. Das Gesetz vom 10.08.2021 - BGBl. I 2021, Nr. 53 17.08.2021, S. 3436, tritt zum 1. Januar 2024 in Kraft.

Die Anforderungen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind bis jetzt:

  • Information jedes Gesellschafters über die Einleitung und den Verlauf des Schiedsverfahrens
  • Möglichkeit der Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter an der Auswahl und Bestellung der Schiedsrichter (außer bei neutraler Schiedsinstitution)
  • Konzentration aller denselben Streitgegenstand betreffenden Beschlussmängelstreitigkeiten bei einem Schiedsgericht

Grund für diese Anforderungen ist vor allem die Wirkung eines Urteils, das einen Beschluss für nichtig erklärt oder bestätigt. Ein solches Schiedsurteil wirkt für und gegen alle („inter omnes“). Demgemäß hielt der Bundesgerichtshof eine ihm vorgelegte Klausel führt teilweise unwirksam.

Mit dem MoPeG wird in §§ 111 ff. HGB ein ausführliches Prozesssystem zur Anfechtung oder Nichtigerklärung von Gesellschafterbeschlüssen in Personenhandelsgesellschaften, also offener Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft eingeführt. Nach der gesetzlichen Bestätigung der Teilrechtsfähigkeit der Personengesellschaft kennt aber auch der neue § 715b eine prozessuale Regelung der Gesellschafterklage. Vor allem § 113 HGB regelt die Anfechtungsklage, eine Regelung, die entsprechend auch auf die Nichtigkeitsklage anzuwenden ist. Er lautet:

§ 113 Anfechtungsklage

(1) Zuständig für die Anfechtungsklage ist ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat.

(2) Die Klage ist gegen die Gesellschaft zu richten. Ist außer dem Kläger kein Gesellschafter zur Vertretung der Gesellschaft befugt, wird die Gesellschaft von den anderen Gesellschaftern gemeinsam vertreten.

(3) Die Gesellschaft hat die Gesellschafter unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten. Ferner hat sie das Gericht über die erfolgte Unterrichtung in Kenntnis zu setzen. Das Gericht hat auf eine unverzügliche Unterrichtung der Gesellschafter hinzuwirken.

(4) Die mündliche Verhandlung soll nicht vor Ablauf der Klagefrist stattfinden. Mehrere Anfechtungsprozesse sind zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden.

(5) Den Streitwert bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung der Sache für die Parteien, nach billigem Ermessen.

(6) Soweit der Gesellschafterbeschluss durch rechtskräftiges Urteil für nichtig erklärt worden ist, wirkt das Urteil für und gegen alle Gesellschafter, auch wenn sie nicht Partei sind.

Insbesondere die Absätze 3, 4 und 6 werden Einfluss auf die Ausgestaltung von Schiedsklauseln haben. Die Klagefrist nach Abs. 4 S. 1 beträgt grundsätzlich 3 Monate ab Bekanntgabe des Beschlusses, § 112 Abs. 1 und 2 HGB. Selbstredend fehlt eine Vorschrift zur Mitwirkung bei der Besetzung des Gerichts. Das Landgericht ist ein staatliches Gericht mit nicht zuletzt Berufsrichtern. Besonders die Verfahrensregeln im § 113 Abs. 3 HGB klingen ebenso wie in § 6 überlegt, sodass sie gegebenenfalls in einer Schiedsabrede wiederholt werden sollten. Gleiches gilt für § 113 Abs. 4 HGB. Es bleibt abzuwarten, wie die Schiedsinstitutionen auf diese Gesetzesänderung reagieren werden.

Freitag, 14. Januar 2022

Teleologische Reduktion des Deliktsstatuts bei gemeinschaftsweit einheitlichen Rechten des geistigen Eigentums nach Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO im Falle einer Rechtsverletzung in einem Drittstaat - OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2020 - 2 U 147/18

Bei der Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart geht es um das anwendbare Recht bei der Verletzung einer Unionsmarke. Die Klägerin produziert und vertreibt weltweit Parfüms unter verschiedenen Marken. Die Beklagte betreibt E-Commerce-Plattformen, die sich an den chinesischen Markt richten. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Unterlassung, Auskunft, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten wegen nach Ansicht der Klägerin markenrechtsverletzender Angebote, die Verkäufer auf den E-Commerce-Plattformen der Beklagten eingestellt hatten.

Welches materielle Recht muss angewandt werden? Für das einschlägige Deliktsstatut besagt Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO:

„Bei außervertraglichen Schuldverhältnissen aus einer Verletzung von gemeinschaftsweit einheitlichen Rechten des geistigen Eigentums ist auf Fragen, die nicht unter den einschlägigen Rechtsakt der Gemeinschaft fallen, das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Verletzung begangen wurde.“

Wie das Oberlandesgericht richtig festhält betreffen sämtliche Klaganträge der Klägerin die Verletzung einer Unionsmarke. Damit ist die Verordnung über die Gemeinschaftsmarke (VO (EG) Nr. 207/2009; im Folgenden GMV) bzw. über die Unionsmarke (VO (EU) 2017/1001; im Folgenden: UMV) anwendbar, wie sich aus Art. 129 Abs. 1 UMV i.V.m. Art. 124a UMV ergibt.

Ob die Angebote auf der Plattform der Beklagten, die Anlass für die geltend gemachten Unterlassungsansprüche der Klägerin sind, einen hinreichenden wirtschaftlich relevanten Bezug zum Unionsgebiet haben, spielt für die Frage, welches Recht anwendbar ist, nach Ansicht des Oberlandesgerichts keine Rolle. Der sog. "commercial effect" spiele nur eine Rolle bei der Frage, welche Reichweite bzw. welchen Anwendungsbereich das Unionsrecht hat. Das zeigten die Ausführungen des EuGH in dem einschlägigen Urteil vom 12.07.2011, C-324/09 (L'Oréal/eBay) in Rn. 58 ff., insbesondere Rn. 64, wo der EuGH ausführt, dass Websites und Anzeigen, die offensichtlich ausschließlich an Verbraucher in Drittstaaten gerichtet sind, gleichwohl aber im Gebiet der EU technisch zugänglich sind, nicht dem Unionsrecht unterliegen, und in Rn. 66, wo er vom Anwendungsbereich der Unionsnormen im Bereich des Markenschutzes spricht. Auch die OSCAR-Entscheidung des BGH vom 08.03.2012 (I ZR 75/10, GRUR 2012, 621) bestätige dies. Denn ausweislich des zweiten Leitsatzes dieser Entscheidung und den Ausführungen unter Rn. 34 ff. ist der wirtschaftlich relevante Inlandsbezug bei der Frage, ob eine zeichenrechtlich relevante Verletzungshandlung im Inland vorliegt, zu prüfen, nicht aber bei der Frage, ob überhaupt das nationale Markenrecht anwendbar ist.

Auf den Schadensersatzanspruch sei deshalb nicht chinesisches, sondern deutsches Recht anzuwenden. Nach Art. 129 Abs. 2 UMV wendet das Unionsmarkengericht in allen Markenfragen, die nicht durch die UMV erfasst werden, das geltende nationale Recht an. Schadensersatzansprüche sind nicht durch die UMV erfasst (Eisenführ/Overhage in Eisenführ/Schennen, aaO., Art. 101, Rn. 5).

Welches Recht das anwendbare Recht im Sinne von Art. 129 Abs. 2 UMV ist, ergäbe sich aus Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO (Eisenführ/Overhage, aaO., Art. 101, Rn. 10; Drexl in MüKo/BGB, Bd. XII, 7. Aufl. 2018, Teil 8, Internationales Immaterialgüterrecht, Rn. 141; Fezer/Koos, in Staudinger [2019] EGBGB , Internationales Wirtschaftsrecht, Rn. 959). Danach sei bei außervertraglichen Schuldverhältnissen aus einer Verletzung von gemeinschaftsweit einheitlichen Rechten des geistigen Eigentums auf Fragen, die nicht unter den einschlägigen Rechtsakt der Gemeinschaft fallen, das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Verletzung begangen wurde. Das danach bezeichnete Recht sei nach Art. 3 Rom II-VO auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist.

Der EuGH habe in dem Fall Nintendo/BigBen, der ein Geschmacksmuster betraf (Urteil vom 27.09.2017, C-24/16 und C-25/16), festgestellt, dass der Begriff des "Staates ..., in dem die Verletzung begangen wurde" sich von dem Kriterium in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO (Staat, "in dem der Schaden eintritt") unterscheide und dahingehend auszulegen sei, dass darunter der Staat zu verstehen sei, in dem die Verletzungshandlung begangen worden sei (aaO., Rn. 98). In einem Fall, in dem einem Wirtschaftsteilnehmer vorgeworfen werde, dass über seine Website ohne Zustimmung des Rechteinhabers Waren zum Kauf angeboten werden, sei der Ort des schadensbegründenden Ereignisses der Ort, an dem der Prozess der Veröffentlichung des Angebots durch den Wirtschaftsteilnehmer auf seiner Website in Gang gesetzt worden sei (aaO., Rn. 108).

Die Veröffentlichung der Angebote auf der Website der Beklagten hat unstreitig in China stattgefunden. Mithin wäre chinesisches Recht anwendbar. Ob das IPR Chinas eine Rückverweisung enthält, wäre nach Art. 24 Rom II-VO ausdrücklich unbeachtlich.

Der Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO sei nach gerichtlicher Ansicht jedoch teleologisch zu reduzieren, wenn - anders als in der oben zitierten Entscheidung des EuGH vom 27.09.2017, C-24/16 und C-25/16 - der Staat, in dem die Verletzungshandlung vorgenommen wurde, kein Mitgliedstaat der EU ist. Denn es sei nicht davon auszugehen, dass der europäische Gesetzgeber die Durchsetzung von Unionsschutzrechten nach dem Immaterialgüterrecht eines Drittstaats bestimmen wollte. Gegen eine solche Absicht spreche wesentlich der Umstand, dass der europäische Gesetzgeber mit der Richtlinie 2004/48/EG (im Folgenden: Durchsetzungs-RL) das Ziel verfolgt, die in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsvorschriften zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums einander anzunähern, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten (Erwägungsgrund 10). Beispielsweise haben die Mitgliedstaaten nach Art. 13 der Durchsetzungs-RL sicherzustellen, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechteinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat. Würden nun die Sanktionen zur Durchsetzung von Unionsschutzrechten nach dem Immaterialgüterrecht eines Drittstaats bestimmt werden, dann könnte das Unionsrecht entgegen dem mit der Durchsetzungs-RL verfolgten Ziel gerade keinen ausreichenden Rechtsschutz für Verletzungshandlungen, die Schäden im Gebiet der Europäischen Union verursachen, bieten. Sähe das Sachrecht des Drittstaats überhaupt keine Vorkehrungen für Nebenansprüche aus der Verletzung eines europäischen Rechtstitels vor, käme es sogar zu einem vollständigen Leerlauf der Verweisung (Grünberger in Hüßtege/Mansel, BGB - Band 6 Rom-Verordnungen, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 8, Rn. 68).

Der Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO sei daher teleologisch zu reduzieren. Die Vorschrift findet nur Anwendung, wenn der Staat, in dem die Verletzungshandlung vorgenommen wurde, ein Mitgliedstaat der EU ist, denn die Funktion der Vorschrift beschränkt sich auf eine unter Anknüpfung für das Territorium der EU (Drexl, aaO., Rn. 138; lediglich die Meinung Drexls referierend ohne eigene Stellungnahme Fezer/Koos, aaO., Rn. 966; zum selben Ergebnis - Nichtanwendbarkeit des Rechts des Drittstaats - führt die Ansicht Grünbergers aaO., Rn. 68, dass in diesen Fällen ausschließlich nach dem tatbestandlichen Handlungsortbegriff (Erfolgsort) anzuknüpfen sei).

Auf die Fälle des Handelns in einem Drittstaat - wie hier - sei sodann nach den klassischen kollisionsrechtlichen Prinzipien das sachnächste Recht eines Mitgliedstaates im Sinne einer Reserveanknüpfung zur Anwendung zu bringen (Drexl, ebenda). Das sachnächste Recht ist hier deutsches Recht. Denn eine Anknüpfung daran, in welchen EU-Staat wie viele Lieferungen erfolgt sind, ergäbe vor dem Hintergrund, dass die Rechtsverletzung in einem Angebot besteht und nicht in einer Lieferung, keinen Sinn. Und auf den Sitz des Markeninhabers könne nicht abgestellt werden, weil dieser außerhalb der EU liegt. Damit bleibe als einziger weiterer Anknüpfungspunkt der Sitz des Lizenznehmers, d.h. der Klägerin, der in Deutschland liegt.

Das Urteil ist zwiespältig: Dem Rechtsuchenden gibt es Brot und nicht Steine. Er erhält zumindest relativ einfach einen Titel, der allerdings gegebenenfalls noch außerhalb der EU zu vollstrecken wäre. Die Argumentation des Oberlandesgerichts verkennt indes, dass die Rom II-VO diskriminierungsfreie Kollisionsregeln aufstellt und nach Art. 3 Rom II-VO das nach dieser Verordnung bezeichnete Recht auch dann anzuwenden sei, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats sei. Der Rekurs auf den Effet utile in Form der teleologischen Reduktion wirkt hier gegenüber dem chinesischen Recht doch ein wenig chauvinistisch.


Mittwoch, 15. Dezember 2021

US-Trust gilt nicht als Beschenkter beim Pflichtteilsergänzungsanspruch

Rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Stuttgart (28 U 98/15) verneint die Möglichkeit der Rückforderung eines Geschenks an einen Trust in Florida

Soweit der Erbe zur Ergänzung des Pflichtteils nicht verpflichtet ist, kann der Pflichtteilsberechtigte von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks zum Zwecke der Befriedigung wegen des fehlenden Betrags nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern (§ 2329 Abs. 1 S. BGB)

Der Kläger ist der enterbte Sohn des Erblassers. Dieser hatte im US-Bundesstaat Florida einen widerruflichen Trust gegründet und ihm erhebliches Barvermögen zugewandt. Das Vermögen des Trusts wurde schließlich in einem amerikanischen Verfahren an einen begünstigten Dritten übertragen.

Im Rahmen der Nachlassspaltung macht der Kläger nach deutschem Recht die Ergänzung seines beeinträchtigten Pflichtteils durch Herausgabe eines Teils dieser Barzuwendung geltend.

Das Landgericht bejaht zwar die Anwendbarkeit deutschen Rechts, doch sieht es keine Schenkung im Sinne von § 2329 BGB. Diese Schenkung müsse endgültig ein. Es dürfe nicht lediglich um einen Durchgangserwerb zur Weiterleitung an einen Begünstigten handeln. Anders als bei einer Stiftung, die selbstständig entscheide, wie die zugewandten Gelder zu verwenden seien, wäre der Trust hier derart gebunden, wie das Vermögen an dem begünstigten Dritten weiterzuleiten sei, dass wirtschaftlich nicht von einem Beschenkten die Rede sein könne.

Das Urteil ist vertretbar, doch missachtet es die Schutzbedürftigkeit des Pflichtteilsberechtigten. Ein Verfahren in den USA zur Abwicklung eines solchen Trusts kann sich über Jahre hinziehen. Währenddessen muss der Pflichtteilsberechtigte abwarten. Überzeugender wäre die Bejahung der Qualität des Beschenkten gewesen mit dem Korrektiv des Wegfalls der Bereicherung, wie es § 2329 BGB ohnehin mit seinem Verweis auf das Bereicherungsrecht vorsieht. Sobald also das Vermögen an den Begünstigten weitergeleitet wurde, ginge der Anspruch außer bei Bösgläubigkeit ins Leere.


Die Gesellschaft gemäß §§ 705 ff. BGB unterscheidet sich von der Gemeinschaft gemäß § 741 ff. BGB durch die vertraglich verein-barte Verpflichtung, über die gemeinschaftliche Berechtigung an den gemeinsamen Gegenständen hinaus einen gemeinsamen Zweck zu fördern. Die Gemeinschaft ist dagegen „Interessenge-meinschaft ohne Zweckgemeinschaft“

Maßgebend dafür, ob im konkreten Fall eine Gesellschaft oder eine Bruchteilsgemeinschaft begründet wurde, ist nach Ansicht des Oberlandesgericht Stuttgart (14 U 7/20) der Parteiwille.

Die Parteien streiten um die Rechtsverhältnisse an einer in den 70er Jahren errichteten, ursprünglich auf dem Grundstück der Beklagten zu 2 befindlichen Heizanlage, welche bis vor einigen Jahren drei Wohnungseigentümergemeinschaften, nämlich die Klägerin, die Beklagte zu 2 und eine nicht am Rechtsstreit beteiligte Wohnungseigentümergemeinschaft, sowie einen Kindergarten mit Heizung und Warmwasser versorgt hatte.

Rechtliche Grundlage für die Errichtung der Heizanlage war eine Vorgabe im Bebauungsplan der Gemeinde Altbach vom 29.10.1971, wonach die entstehenden Geschossbauten an die geplante Heizanlage anzuschließen waren. In der Folge schloss die Gemeinde mit den Bauträgern einen notariellen Vertrag (sog. Heizvertrag vom 16.05.1972), der Errichtung und Betrieb dieser Heizzentrale näher regelte. Teilweise erfolgte eine Besicherung der dort verankerten Rechte und Pflichten mit Grunddienstbarkeiten.

Die Klägerin erhebt Anspruch auf die anteilige Instandhaltungsrücklage, den anteiligen Wert des Heizölbestands sowie ein Abrechnungsguthaben.

Das Oberlandesgericht verneint bereits die Zulässigkeit der vorliegenden Klage, weil es an der notwendigen, gemäß § 56 ZPO von Amts wegen zu prüfenden Prozessvoraussetzung der Parteifähigkeit der Gemeinschaft Heizzentrale fehle. Hierzu führt es insbesondere wie folgt aus:

Parteifähig ist nach § 50 Abs. 1 ZPO, wer rechtsfähig ist. Während die Bruchteilsgemeinschaft nach §§ 741 ff BGB nicht Träger von Rechten und Pflichten sein kann, kommt der im Rechtsverkehr auftretenden Außengesellschaft nach §§ 705 ff. BGB Rechtsfähigkeit zu.

Für eine Gemeinschaft spricht zuvörderst der Wortlaut des sog. Heizvertrags, der an verschiedenen Stellen ausdrücklich von der „Gemeinschaft" spricht, nicht hingegen von einer Gesellschaft. Anhaltspunkte dafür, dass es sich hierbei um eine zufällige, unüberlegte Wortwahl handeln könnte, liegen nicht vor, zumal der Heizvertrag notariell beurkundet wurde.

Die Vereinbarung der analogen Anwendbarkeit bestimmter Regelungen des WEG-Rechts passt eher zur Gemeinschaft denn zur Gesellschaft. Auch ist die subsidiäre Anwendung des Gemeinschaftsrechts angeordnet.

Die Vertragsschließenden wollten die freie Übertragbarkeit des „Anteils" an der Heizzentrale.

Die Parteien haben die Unauflöslichkeit der Gemeinschaft vereinbart. Das Gemeinschaftsrecht gestattet einen solchen Ausschluss des Aufhebungsrechts im Rahmen der Bestimmung von § 749 Abs. 2 BGB; die Gesellschaft verbietet dagegen den Ausschluss des Kündigungsrechts (§ 723 Abs. 3 BGB).

Für die Annahme einer Gesellschaft könnte sprechen, wenn die Verfolgung eines gemeinsamen Ziels, das über die bloße Nutzung der Heizanlage hinausginge, verabredet worden wäre. Das gemeinsame „Innehaben" der Heizzentrale, das auch die Gemeinschaft kennzeichnet, gehöre nicht dazu. Ein übergeordneter Zweck - wie z. B. die Absicht der Gewinnerzielung, die Absicht, zur Verbreitung solcher Heizanlagen beizutragen etc. - ist damit nicht verknüpft. Inwieweit die bloße gemeinsame Nutzung einen tauglichen Gesellschaftszweck darstellen kann, kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Denn sie bildet jedenfalls keinen ausschlaggebenden Hinweis auf die Absicht einer Gesellschaftsgründung, weil sie bei der Begründung einer Gemeinschaft in gleicher Weise gegeben wäre.

Das Gericht verweist auf seine frühere Entscheidung (Urteil vom 12.01.2005, 3 U 167/04) sowie das OLG Karlsruhe (Urteil vom 12.07.1991, 9 U 87/90), die ebenfalls Eigentümergemeinschaften angenommen hätten.

Das Urteil mag vertretbar sein; es überzeugt aber weder bei der Frage, an welchem Recht eine Eigentümergemeinschaft gebildet worden sei, noch lässt diese Qualifikation eine praktikable Lösung der rechtlichen Probleme einer in die Jahre gekommenen Heizungsanlage eines Mehrfamilienhauses zu. Das Gericht selbst spricht von „Anteilen“ an der Heizzentrale. Was dieser Anteil umfasst, lässt das Gericht offen. Ein Anteil am Eigentum wäre im Grundbuch einzutragen. Eine Heizungsanlage ist gemäß § 94 BGB wesentlicher Bestandteil des Grundstücks. Die weiter vom Gericht genannten „Rechte und Pflichten an der Heizzentrale“ bleiben nebulös. Gerade aber ein Anschlussrecht an die Heizungsanlage einschließlich gemeinsamer Verwaltung legt aber auch den übergeordneten Zweck für die Annahme einer Gesellschaft nahe. Es geht eben nicht um die bloße Nutzung der Heizungsanlage, sondern um das gemeinsame Betreiben z. B. durch Brennstoffbeschaffung oder Vergabe der Verwaltung. Dieses Betreiben muss entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht der Gewinnerzielung dienen, sondern kann sich auch in der Kostenoptimierung zugunsten aller beschränken.

Praktikabel ist die vom Oberlandesgericht angebotene Lösung allemal nicht. Bei ursprünglich 154 Bruchteilseigentümern vor nahezu 50 Jahren lassen sich die heutigen Bruchteilseigentümer kaum noch feststellen. Ohne Grundbuch, also ausschließlich anhand der nichtöffentlichen Dokumentation der vertraglichen Übertragung des Bruchteilseigentums gerät jeder Versuch, eine Änderung des ursprünglichen Brucheigentumsvertrages oder gar seine gerichtliche Beendigung herbeizuführen, zu einem Schuss in den Nebel. Bei einer Aufhebung gemäß § 749 BGB muss entweder jeder Miteigentümer zustimmen oder verklagt werden. Das Kostenrisiko bei einer Klage gegen 153 andere ist auch vor dem Amtsgericht kaum von der Hand zu weisen. Bei Beteiligung der Wohnungseigentümergemeinschaften in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts könnte dementgegen Streitigkeiten durch die stellvertretend auftretenden Verwalter relativ einfach ausgefochten werden, zumal die Verwalter tagtäglich mit den Fragen der Hausverwaltung befasst sind.

Selbstverständlich gilt, dass jeder sein Recht dort zu suchen hat, wo er es gelassen hat. Allerdings sollte gute Rechtsprechung eher Brot als Steine liefern.


Dienstag, 5. Oktober 2021

Sitztheorie oder nicht, das ist hier die Frage

 

Bundesgerichtshof (II ZB 25/17) ergreift mit Beschluss vom 15. Juni 2021 vielleicht ein letztes Mal Partei für die Sitztheorie

„Die Anmeldung einer Eintragung in das Handelsregister ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 HGB mit einem einfachen elektronischen Zeugnis eines Notars gemäß § 39a BeurkG elektronisch einzureichen. Die Einreichung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Ausstellers der Anmeldung gemäß § 126a BGB reicht nicht aus“

lautet der eher triviale Tenor der Entscheidung. Worum ging es?

Eine englische Limited hatte im März 2014 beim Amtsgericht Frankfurt am Main die Eintragung einer Zweigniederlassung in das Handelsregister angemeldet. Das Registergericht hat der Beteiligten mit Zwischenverfügung vom 11. Juni 2014 mitgeteilt, der Anmeldung könne nicht entsprochen werden, weil sie nicht mit dem nach § 39a BeurkG i.V.m. § 12 Abs. 2 HGB erforderlichen elektronischen Zeugnis versehen sei, der Gesellschaftsvertrag der Beteiligten in öffentlich beglaubigter Form nebst Übersetzung nicht beigefügt sei, die Höhe des Stammkapitals der Beteiligten nicht angegeben werde und es an der Versicherung des directors der Beteiligten über seine Belehrung betreffend seine unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht betreffend etwaige Bestellungshindernisse gemäß § 13g Abs. 2 Satz 2 HGB i.V.m. § 8 Abs. 3 GmbHG fehle.

Der Bundesgerichtshof führt aus:

„Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die Eintragungsanmeldung der Beteiligten nach § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 HGB mit einem einfachen elektronischen Zeugnis gemäß § 39a BeurkG einzureichen ist und die Übersendung mit der qualifizierten elektronischen Signatur ihres directors nicht ausreicht. Für das inländische Registerverfahren und damit auch für die Eintragung einer Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft in das Handelsregister gilt deutsches Registerverfahrensrecht.

Ohne Erfolg wendet sich die Beteiligte weiter gegen die Annahme des Beschwerdegerichts, dass sie nach § 13g Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 HGB zwar nicht zur Vorlage der von ihr unverändert als Satzung übernommenen model articles, wohl aber ihres memorandum of association in öffentlich beglaubigter Abschrift nebst beglaubigter Übersetzung verpflichtet ist…

Die Verpflichtung zur Vorlage des memorandum of association in öffentlich beglaubigter Abschrift nebst beglaubigter Übersetzung verstößt entgegen der Ansicht der Beteiligten schließlich nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Gesellschaftsrechtsrichtlinie) betreffend die Offenlegung von Angaben und Urkunden von Zweigniederlassungen… die Beteiligte gehört nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und dem Ablauf des im Austrittsabkommen vereinbarten Übergangszeitraums nicht mehr zu den Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 29, sondern zu den Gesellschaften aus einem Drittstaat im Sinne von Art. 36 der Gesellschaftsrechtsrichtlinie, deren Offenlegungspflichten in Art. 37 ff. der Richtlinie geregelt sind… eine Behinderung der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49, 54 AEUV greift bereits deshalb nicht, weil die Beteiligte sich nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann…

Danach steht es den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie grundsätzlich frei, bei Gesellschaften aus Drittstaaten über die in Art. 37 genannten Mindestangaben hinaus weitere Offenlegungsmaßnahmen vorzusehen.“

Gerade dieser letzte Satz lässt sich nur mit dem Festhalten des Bundesgerichtshofs an der sogenannten Sitztheorie erklären. Eine Gesellschaft darf danach nur dort registriert bzw. errichtet werden, wo sie ihren effektiven Sitz hat. Eine ausländische Gesellschaft verliert, Sie Ihre Registrierung und damit oft das Privileg fehlende Haftung der Gesellschafter bei Verlegung des effektiven Sitzes ins Inland. Hier müsste die Anmeldung zum Handelsregister erneut durchgeführt werden, um nicht regelmäßig als offene Handelsgesellschaft (OHG) mit unbeschränkter Haftung der Gesellschafter zu gelten. Demgegenüber vertritt die Gründungstheorie die Auffassung, dass es alleine darauf ankommt, ob die Gesellschaft in einem Land wirksam gegründet worden ist. Mit der wirksamen Gründung erlangt die Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit, die sie auch dann behält, wenn sie ihren effektiven Sitz ins Ausland verlegt. Die Gründungstheorie ermöglicht dadurch Sitzverlegungen über die Grenze unter Beibehaltung des Gründungsstatus.

Anderenfalls hätte der Bundesgerichtshof eine Privilegierung der Anmeldung der Zweigniederlassung nach der Gründungstheorie diskutieren müssen. Jenseits der europäischen Niederlassungsfreiheit bedeutete die Gründungstheorie das Anerkenntnis des Gesellschaftsrechts des Staates, in dem die Gesellschaft gegründet wurde.

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz - MoPeG) vom 10. August 2021 hat der deutsche Gesetzgeber die Sitztheorie in Rente geschickt und der Gründungstheorie Tür und Tor geöffnet (BT-Drucksache 19/27635, S. 126 f.). Nach dem neuen § 706 BGB können jetzt auch Personengesellschaften ihren Verwaltungssitz ins Ausland verlegen, was Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften schon seit mehreren Jahren („MoMiG“) möglich ist. Der Bundesgerichtshof wird deshalb sein Dafürhalten für die Sitztheorie, z.B. BGH, Urteil vom 27. 10. 2008 – II ZR 158/06, kaum noch aufrechterhalten können. Jedenfalls wäre der Begründungsaufwand hoch: Nur der Wegzug deutscher Gesellschaften sei privilegiert, nicht aber der Zuzug ausländischer Gesellschaften. Das lässt sich nur schwer hören.

Die Diskussion über die Auslegung des am 30. Dezember 2020 zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich geschlossenen Handels- und Kooperationsabkommen insoweit, ob britische Kapitalgesellschaften weiterhin in Deutschland anzuerkennen seien, wird sich damit unter Umständen in Luft auflösen: Bereits die Gründungstheorie verlangt eine solche Anerkennung.

Donnerstag, 22. Juli 2021

Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beschlossen

Der Bundestag hat am 11. Juni 2021 das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, das sogenannte "Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz" (LkSG), verabschiedet. Das Gesetz wird zum 1. Januar 2023 in Kraft treten. Der Bundesrat erhebt keine Einwendungen.

Das Gesetz will den Schutz der Menschenrechte in globalen Lieferketten verbessern. Dabei geht es um die Einhaltung von Menschenrechtsstandards wie des Verbots von Kinderarbeit und Zwangsarbeit nach den einschlägigen internationalen Konventionen. Aber auch der Arbeitsschutz vor Ort (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG), die Koalitionsfreiheit im Hinblick auf Gewerkschaften, allgemeine Gleichbehandlung, angemessener Lohn und der Umweltschutz sind vom Gesetz erfasst.

Anwendungsbereich

Das LkSG ist anzuwenden auf Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben und in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Ab dem 1. Januar 2024 beträgt der Schwellenwert 1.000 Arbeitnehmer. Auffällig ist die Anknüpfung auch am Satzungssitz, sodass auch GmbHs oder Aktiengesellschaften mit Verwaltungssitz im Ausland betroffen sind. Außerdem sind alle Arbeitnehmer im Konzern zu berücksichtigen.

Sorgfaltspflichten

Unternehmen haben nach § 3 LkSG in ihren Lieferketten die festgelegten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. Hier geht es um eine Pflicht, sich zu bemühen, nicht aber eine Pflicht zum Erfolg oder gar eine Garantiehaftung. Was konkret angemessen ist, liegt im Beurteilungsspielraum des Unternehmens.

Zu den Sorgfaltspflichten gehören unter anderem

Einrichtung eines Risikomanagements,

Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit,

regelmäßiges Durchführen einer Risikoanalyse,

Ergreifen von Abhilfemaßnahmen,

Verabschiedung einer Grundsatzerklärung,

Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens für Personen, die durch wirtschaftliche Tätigkeiten im eigenen Geschäftsbereich des Unternehmens oder durch wirtschaftliche Tätigkeiten eines unmittelbaren Zulieferers unmittelbar betroffen sind, und

Umsetzung, Dokumentation und Berichterstattung.

Grundsätzlich müssen die unternehmerischen Maßnahmen mindestens einmal jährlich überprüft werden.

Das Unternehmen muss angemessene Präventionsmaßnahmen gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer verankern, insbesondere:

1. die Berücksichtigung der menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen bei der Auswahl eines unmittelbaren Zulieferers,

2. die vertragliche Zusicherung eines unmittelbaren Zulieferers, dass dieser die von der Geschäftsleitung des Unternehmens verlangten menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Vorgaben einhält und entlang der Lieferkette angemessen adressiert,

3. die Vereinbarung angemessener vertraglicher Kontrollmechanismen sowie die Durchführung von Schulungen und Weiterbildungen zur Durchsetzung der vertraglichen Zusicherungen des unmittelbaren Zulieferers nach Nummer 2,

4. die Durchführung risikobasierter Kontrollmaßnahmen auf Grundlage der vereinbarten Kontrollmechanismen nach Nummer 3, mit denen die Einhaltung der Menschenrechtsstrategie bei dem unmittelbaren Zulieferer überprüft wird.

Sollte keine Abhilfe beim Zulieferer möglich sein, kann das bis zum Abbruch der Geschäftsbeziehung führen.

Das Unternehmen hat jährlich einen Bericht über die Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr zu erstellen. Die Dokumentation der Erfüllung der Sorgfaltspflichten ist ab ihrer Erstellung mindestens sieben Jahre lang aufzubewahren.

Aufsicht

Zur Kontrolle und Durchsetzung des Gesetzes wird eine Kontrollstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle etabliert. Das Amt darf Anordnungen und Maßnahmen erlassen, Betriebsgrundstücke, Geschäftsräumen und Wirtschaftsgebäude der Unternehmen betreten sowie Auskünfte und Herausgabe verlangen. Bei Nichtumsetzung der Sorgfaltspflichten besteht nicht zuletzt die Gefahr der Einleitung von Ordnungswidrigkeitsverfahren.

Besondere Prozessstandschaft

Nicht als Verbandsklage, sondern in Form der Prozessstandschaft wird die Klagebefugnis ausgeweitet: Wer in einer Rechtsposition aus § 2 LkSG verletzt ist, kann zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Rechte einer inländischen Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation die Ermächtigung zur Prozessführung erteilen. Die Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation muss ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland haben. Der Prozessstandschafter muss gemäß § 50 ZPO parteifähig sein.

Unlauterer Wettbewerb

Gerade die Berichts- und Dokumentationspflicht der Unternehmen wird die Geltendmachung der Einhaltung der Marktverhaltensregeln des LkSG ermöglichen. Der Gesetzgeber selbst spricht davon, dass mit dem Gesetz fairen Wettbewerbsbedingungen Rechnung getragen werden soll. Im Grundsatz sollte jeder Wettbewerber die Verletzung der Sorgfaltspflichten als Rechtsbruch gemäß § 3a UWG verfolgen können.

Europäisches Lieferkettengesetz 

Der europäische Gesetzgeber hat bereits für ein deutlich strengeres Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht. Der Vorschlag eines europäischen Lieferkettengesetzes soll im Herbst dieses Jahrs folgen. Noch hat der Ausschuss für Normenkontrolle den aktuellen Vorschlag der Kommission wegen vager Problembeschreibung und fehlender Erläuterung der Erforderlichkeit gestoppt.


Mittwoch, 12. Mai 2021

Welches Gericht ist zuständig bei Klagen im Zusammenhang mit dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland? Welches Recht gilt?

Das Vereinigte Königreich ist durch den BREXIT zum Drittstaat im Sinne der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („EuGVVO“) geworden. Der Wohnsitz des Beklagten, nach dem oft unterschieden wird, ist damit nicht mehr innerhalb der Union.

1. §§ 12 ff. ZPO?

Gemäß Art. 6 EuGVVO bestimmt sich bei fehlendem Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats grundsätzlich nach dessen eigenem Recht. In Deutschland bestimmen die ZPO-Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit allgemein auch die internationale Zuständigkeit. Damit lebte insbesondere auch der Gerichtsstand des Vermögens gemäß § 23 ZPO im Hinblick auf britische Parteien wieder auf:

„Für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, die im Inland (= EU) keinen Wohnsitz hat, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich Vermögen derselben oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand befindet.“

Nicht vollständig unbeachtliches Vermögen in Deutschland führt also zu einer Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Die Pflicht zur Stellung einer Prozesskostensicherheit gemäß § 110 ZPO trifft nun auch britische Kläger.

„Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit“

Auch die Anerkennung und Vollstreckung gemäß §§ 328, 722 ZPO ist erheblich umständlicher.

2. EuGVÜ?

Andererseits könnte auch das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 wieder mit Leben erfüllt worden sein. Eigentlich gingen alle Mitgliedstaaten der Union davon aus, dass dieser völkerrechtliche Vertrag auch ohne förmliche Aufhebung durch die EuGVVO nicht mehr angewendet würde. Die Entscheidung hierüber obliegt aber dem angerufenen Gericht. Spannend wird diese Frage spätestens deshalb, weil der Europäische Gerichtshof zur Auslegung dieses Übereinkommens auch im Hinblick auf das Vereinigte Königreich berufen ist. Inhaltlich unterscheiden sich EuGVÜ und EuGVVO mittlerweile beträchtlich vor allem im Hinblick auf die Abschaffung des Exequaturverfahren sowie die Regelungen zum lis pendens zur Verhinderung sogenannter Torpedoklagen.

In Zukunft könnte ein Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Lugano-Übereinkommen eine Linderung dieser Auslegungsfragen bringen, da es wenigstens der Vorgänger-Verordnung des EuGVVO entspricht.

3. Haager Übereinkommen 2005?

Durch das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30. Juni 2005 kann zumindest für ausschließliche Prorogationen zwischen Unternehmen Sicherheit in deutsch-britischen Gerichtsverfahren erreicht werden. Beide Staaten sind Vertragspartei. Anerkennung und Vollstreckung in Deutschland erfolgen nach den Vorschriften des AVAG. Ein Exequaturverfahren ist nicht erforderlich, sondern nur ein Vollstreckungsantrag des Gläubigers.

4. Sonstige Abkommen

Für die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke sowie die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen finden die Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 bzw. 18. März 1970 Anwendung. Zusätzlich könnte das deutsch-britische Abkommen vom 20. März 1928 über den Rechtsverkehr beachtet werden.

5. Anwendbares Recht

Was das materielle Recht betrifft, so sind vor allem die Vorschriften nach den Rom I und II-Verordnungen ohne weiteres nur auf Sachverhalte anwendbar, in denen der Vertragsschluss oder das schadensbegründende Ereignis sich vor dem 1. Januar 2021 ereigneten. Zu beachten ist dabei wie schon immer, dass das Vereinigte Königreich nie Vertragsstaat des UN-Kaufrecht (CISG) geworden ist. Für Sachverhalte ab dem 1. Januar 2021 geltend aus deutscher Sicht grundsätzlich auch die Rom I und II-Verordnungen, doch auch hier stellt sich im Verhältnis zu Rom I die Frage, ob das vorhergehende Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 („EVÜ“) wieder auflebt. Das Vereinigte Königreich und Deutschland sind Parteien des Übereinkommens. Eine förmliche Kündigung gab es nicht.