Dienstag, 8. Januar 2019

Sitztheorie weiterhin gültig - Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umwandlung von EU-Auslandsgesellschaften

Mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften in anderen EU-Mitgliedstaaten („Überseering“, „Inspire Art“) hat sich die fälschliche Vorstellung verfestigt, in Deutschland sei der Sitztheorie nicht mehr gültig. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die ausdrückliche Möglichkeit, den effektiven Verwaltungssitz deutscher GmbH oder Aktiengesellschaften ins Ausland zu verlegen. Ein Gesetzesvorhaben der Bundesregierung bestätigt die weitere Gültigkeit der Sitztheorie, gerade auch im Hinblick auf englische Limiteds nach dem BREXIT.
Nach der sog. Sitztheorie bestimmt sich das auf die Gesellschaft anwendbare Recht („Gesellschaftsstatut“) nach dem Recht des Staates, wo die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz hat. Anders richtet sich das Personalstatut von Gesellschaften nach der sog. Gründungstheorie, wenn die Auslandsgesellschaft in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, des EWR oder in einem mit diesen aufgrund eines Staatsvertrags in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit gleichgestellten Staat gegründet worden ist (BGH, Urt. v. 27.10.2008 - II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 Rz. 19; v. 11.1.2011 - II ZR 157/09, NJW 2011, 844 Rz. 16 jew. m.w.N.). Nur für Gesellschaften, die in einem Drittstaat gegründet worden sind, hält die Rechtsprechung an der sog. Sitztheorie fest, nach der für das Personalstatut das Recht des Sitzstaats maßgeblich ist (BGH, Urt. v. 27.10.2008 - II ZR 158/06).
Die Bundesregierung hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Gesellschaften nach britischem Recht die Niederlassungsfreiheit in Deutschland auch nach dem EU-Austritt Großbritanniens sichert. Einen entsprechenden Gesetzentwurf beschloss das Bundeskabinett am 10. Oktober in Berlin.
Das Umwandlungsgesetz regelt inländische wie auch grenzüberschreitende Umwandlungen von Unternehmen in andere Rechtsformen: z.B. von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft. Anlass ist das bevorstehende Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union – der BREXIT. Vom Brexit betroffen sind vor allem Unternehmen in der britischen Rechtsform einer „Limited“, einer „private company limited by shares“, mit Verwaltungssitz in Deutschland. Davon existieren schätzungsweise 8.000 bis 10.000 in Deutschland.
Der Gesetzentwurf schafft die Möglichkeit eines geordneten Wechsels einer "Limited" in eine deutsche Gesellschaftsrechtsform mit beschränkter Haftung. Die neue Gestaltungsoption einer grenzüberschreitenden Verschmelzung von Gesellschaften kann insbesondere kleinen Unternehmen den Übergang in eine deutsche Rechtsform erleichtern. Laut Entwurf reicht es aus, wenn die Gesellschafter ihre Umwandlungspläne vor dem Brexit notariell beurkunden lassen. Der Vollzug durch das Handelsregister muss spätestens nach zwei Jahren beantragt werden.
Die Umwandlung wäre nicht notwendig, würde Deutschland diese dann Gesellschaften eines Drittlandes nach der sog. Gründungstheorie anerkennen.
Der Gesetzentwurf enthält zudem eine Übergangsvorschrift für alle zum Zeitpunkt des Brexit bereits begonnenen Umwandlungsvorgänge. Die Übergangsvorschrift soll sowohl im Fall eines sog. harten Brexit im März nächsten Jahres als auch im Fall eines Austrittsabkommens zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich gelten.

Nicht-EU-ausländisches Gericht der Hauptsache im einstweiligen Verfügungsverfahren - notzuständiges Amtsgericht Nürtingen, Beschluss vom 9. Oktober 2018, 16 C 2892/18

Der Sachverhalt wirkt banal:
In einem Liefervertrag hatten die Parteien Exklusivität für verschiedene Produkte festgelegt. Anwendbares Recht soll das Recht eines Drittstaates außerhalb der EU sein. In diesem Drittstaat soll auch der Gerichtsstand sein. Art. 3 Rom I und Art. 25 Brüssel Ia lassen sowohl Rechts- als auch Gerichtsstandswahl verhältnismäßig problemlos zu.
Ein unter die Exklusivität fallendes Produkt befindet sich im Gerichtssprengel des Amtsgerichts Nürtingen und soll dort sequestriert werden. Gemäß § 942 ZPO erlässt das Amtsgericht die begehrte einstweilige Verfügung und verlangt Ladung des Gegners zur mündlichen Verhandlung über die Rechtmäßigkeit der Verfügung bei dem Gericht der Hauptsache zu beantragen. Wo ist das Gericht der Hauptsache? Gilt die Derogation an das Gericht des Drittstaates? Soll die Hauptsache vor dem nach deutschem Recht zuständigen Landgericht Stuttgart verhandelt werden?
Das Amtsgericht entscheidet sich für das Gericht des Drittstaates als zuständiges Gericht und verlangt demgemäß die Eröffnung des Hauptsacheverfahrens dort.
Nach Art. 35 Brüssel Ia gelten die Zuständigkeitsvorschriften gemäß Art. 4 ff. Brüssel Ia nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren. Demnach kann es zum Auseinanderfallen von Hauptsachezuständigkeit im Ausland und Eilzuständigkeit für das Verfügungsverfahren im Inland kommen. So auch hier: Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist Hauptsachegericht im Verfügungsverfahren das Landgericht Stuttgart und nicht das mit Gerichtsstandsvereinbarung festgelegte Gericht der Hauptsache im Ausland, was vorliegend auch elf Flugstunden entfernt ist. Eine denkbar ungeeignete Zuständigkeit zur Überprüfung eines amtsgerichtlichen Urteils. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist auch nur schwer vorstellbar, wie dieses Gericht eines Drittstaates im Rechtfertigungsverfahren nach § 942 die einstweilige Verfügung hätte bestätigen oder aufheben sollen. Trotz aller Internationalisierung ist eine derartige Verschränkung ohne völkerrechtliche Verträge nicht denkbar.
Fazit: Jede Gerichtsstandsvereinbarung sollte auch eine Regelung im Hinblick auf das Eilverfahren enthalten. Zur Vereinfachung empfiehlt sich die Ausnahme eines solchen Verfahrens von der Vereinbarung.

Kammergericht stärkt schweizerische Notare - Beschluss vom 26. 2018 – 22 W 2/18

„Die Beurkundung der Gründung einer deutschen GmbH durch einen Schweizer Notar mit Amtssitz im Kanton Basel erfüllt jedenfalls dann die Anforderungen nach §§ 6, 13 UmwG und kann im Eintragungsverfahren durch das Registergericht nicht beanstandet werden, wenn die Niederschrift in Gegenwart des Notars den Beteiligten vorgelesen, von ihnen genehmigt und eigenhändig unterschrieben worden ist.“

Gebühren sparen ist in Deutschland bekanntlich ein Volkssport. Nicht nur der gemeine Steuerflüchtling begibt sich gerne für Beurkundungen in den deutschsprachigen Teil der Schweiz, sondern selbst die Bundesrepublik Deutschland lässt notarielle Beurkundungen dort fertigen („Toll Collect“).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist zumindest die Beurkundung der Abtretung von Geschäftsanteilen einer deutschen, in Deutschland ansässigen GmbH durch einen schweizerischen Notar gleichwertig und damit wirksam, zumindest in den Kantonen Zürich und Basel Stadt. Gleichwertigkeit sei gegeben, da die dortigen Notare nach Vorbildung und Stellung im Rechtsleben eine der Tätigkeit des deutschen Notars entsprechende Funktion ausüben und für die Errichtung der Urkunde ein Verfahrensrecht zu beachten ist, das den tragenden Grundsätzen des Beurkundungsrechts entspricht (BGH, Beschluss vom 16.02.1981, II ZB 8/80, Beschluss vom 17.12.2013 – II ZB 6/13).
Strittig ist insbesondere auch die Beurkundung von kooperativen Akten einer deutschen GmbH in der Schweiz wie Gründung oder Umwandlung.
Das deutsche Beurkundungsrecht enthält keine Regelung über die örtliche Zuständigkeit für eine Beurkundung. Gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB ist ein Rechtsgeschäft grundsätzlich dann formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts erfüllt, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist (Alt. 1, Wirkungsstatut) oder die Formerfordernisse des Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird (Alt. 2, Ortsstatut). Für das Gesellschaftsstatut wird allgemein angenommen, dass die Ortsform nicht ausreicht, weil es hier um eine materielle Richtigkeitsgewähr ginge. Demnach wird immer die Gleichwertigkeit der Beurkundung geprüft und im Ergebnis für manche Kantone in der Schweiz angenommen.
Das Kammergericht entscheidet hier erneut (Beschluss vom 24. Januar 2018, 22 W 25/16) gegen das strenge Amtsgericht Charlottenburg, das regelmäßig keine Gleichwertigkeit schweizerischer Beurkundungen annimmt. Es dehnt die Zulässigkeit entgegen verbreiteter Ansicht (so Cziupka EWiR 2018, 137, 138; Stelmaszczyk GWR 2018, 103, 105) sogar auf Umwandlungen aus.
„Auch die Annahme, die Beurkundungspflicht diene einer materiellen Richtigkeitsgewähr, zwingt nicht zu der Annahme, eine Beurkundung durch einen ausländischen Notar sei ausgeschlossen. Dass eine Auslandsbeurkundung stets dem Zwecke der Richtigkeitsgewähr entgegensteht, trifft nicht zu. Auch der ausländische Notar und der einen ausländischen Notar zur Beurkundung Aufsuchende sind an einer Wirksamkeit der Beurkundung auch in materieller Hinsicht interessiert. Demgegenüber finden sich auch Beurkundungen vor einem deutschen Notar, die durch die Registergerichte beanstandet werden. Entscheidend ist aber, dass die eigentliche Prüfung dem Registergericht obliegt. Die entsprechende Prüfung hat dann durch das Registergericht stattzufinden. Auch wenn eine Beurkundung durch einen deutschen Notar die Richtigkeit der Beurkundung nahe legt, was nach Auffassung des Senats auch Anlass sein sollte, eine Beurkundung vor einem deutschen Notar vorzunehmen, bedeutet das nicht, dass diese Eintragungsvoraussetzung wäre. Denn diese schließt eine eigene Prüfung durch das Registergericht nicht aus. Es entsteht keine Bindung. Dies gilt auch im Rahmen des § 378 Abs. 3 Satz 1 FamFG. Diesem wird zwar eine Filterfunktion zugeschrieben, das Prüfungsrecht und die Prüfungspflicht des Registergerichts bleiben jedoch uneingeschränkt bestehen (vgl. BT-Drucks. 18/10607 S. 110; Prütting/Holzer, FamFG, 4. Aufl., § 378 Rn. 20). Im Übrigen verbleibt es bei dieser Prüfung, weil diese nach § 378 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht durch eine Auslandsbeurkundung umgangen werden kann. Auch aus § 9c GmbHG lässt sich nichts anderes herleiten. Denn die Beschränkung der Prüfungsbefugnis dient der Beschleunigung des Registerverfahrens, indem weniger wichtige Punkte von einer Prüfung des Registergerichts ausgenommen werden (vgl. BT-Druck 13/8444 S. 76; offenbar a. A. Stelmaszczyk GWR 2018, 103, 105). Der Prüfungsumfang ist gerade bei den Regelungen, die im öffentlichen Interesse bestehen, uneingeschränkt geblieben, vgl. § 9c Abs. 2 Nr. 2 GmbHG. Dass eine solche Prüfung durch das Registergericht wegen der notariellen Vorprüfung gerade nicht erforderlich war, ergibt sich daraus gerade nicht. Mit der Annahme, die Beurkundung solle eine materielle Richtigkeit gewährleisten, die nur durch die Beurkundung vor einer deutschen Notarperson erreicht werden kann, wird zudem die Regelung des Art. 11 Abs. 1 EGBGB eingeschränkt, ohne dass sich hierfür eine ausreichende gesetzliche Regelung fände. Die mit einer Beurkundung durch einen deutschen Notar einhergehende Vermutung für die materielle Richtigkeit des Beurkundungsvorgangs erweist sich damit nicht als notwendig prägender Umstand, sondern nach dem derzeitigen Gesetzesstand als wünschenswerter Reflex (a. A. Lieder ZIP 2018, 805, 812).“
Offenbar ist das Kammergericht kein Freund deutscher Notare. Ob es schlechte Erfahrungen mit sogenannten Mitternachtsnotaren gemacht hat? Die Leistungen eines Notars scheint es indes zu wenig zu würdigen: Auch wenn Rechtsanwälte viele Verträge vorbereiten, ist es immer noch von Wert, wenn ein weiterer Jurist diese Verträge nochmals geprüft. Das könnten zwar auch schweizerische Notare, doch ist die Qualifikation eines deutschen Notars als Volljurist nicht von der Hand zu weisen.

Donnerstag, 16. August 2018

Brexit: Europäische Kommission veröffentlicht Mitteilung über Vorbereitung für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU

Die Europäische Kommission hat am 19. Juli 2018 eine Mitteilung angenommen, in der die laufenden Arbeiten zur Vorbereitung auf alle Szenarien des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union dargelegt werden.
Am 30. März 2019 wird das Vereinigte Königreich die EU verlassen und damit zu einem Drittland werden. Dies wird Auswirkungen auf Bürger, Unternehmen und Behörden haben, und zwar sowohl im Vereinigten Königreich als auch in der EU. Dazu gehören beispielsweise wieder eingeführte Kontrollen an der EU-Außengrenze zum Vereinigten Königreich, Unsicherheiten im Hinblick auf die Gültigkeit von vom Vereinigten Königreich herausgegebenen Lizenzen, Bescheinigungen und Genehmigungen sowie uneinheitliche Vorschriften für die Übermittlung von Daten. In Mitteilung werden Mitgliedstaaten und private Akteure aufgerufen, ihre Vorbereitungsanstrengungen zu erhöhen. Der Text folgt damit dem Appell des Europäischen Rates (Artikel 50) vom vergangenen Monat, die Vorbereitungsarbeiten auf allen Ebenen und für alle Ergebnisse zu intensivieren. Zwar arbeitet die EU Tag und Nacht daran, eine Einigung zu finden, die einen geordneten Austritt ermöglicht, doch wird der Austritt des Vereinigten Königreichs – ob mit oder ohne Einigung – zweifelsohne Störungen verursachen, z. B. in den Lieferketten. Da noch immer ungewiss ist, ob zum Austrittsdatum ein ratifiziertes Austrittsabkommen vorliegen oder wie dieses aussehen wird, laufen derzeit Vorbereitungen, die sicherstellen sollen, dass die EU-Organe, die Mitgliedstaaten und die privaten Akteure für den Austritt des Vereinigten Königreichs gerüstet sind. Selbst im Falle einer Einigung wird das Vereinigte Königreich nach dem Austritt kein Mitglied der EU mehr sein und daher auch nicht mehr dieselben Vorteile genießen wie die Mitgliedstaaten. Daher ist es unabhängig von einer möglichen Einigung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ganz entscheidend, bestmöglich auf den Moment vorbereitet zu sein, in dem das Vereinigte Königreich zu einem Drittland wird. Gleichwohl ist es nicht nur Aufgabe der EU-Organe, sich auf den Austritt des Vereinigten Königreichs vorzubereiten. Alle Betroffenen auf EU-Ebene wie auf nationaler und regionaler Ebene, darunter Wirtschaftsteilnehmer und andere private Akteure, müssen sich in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich verstärkt für sämtliche Szenarien rüsten.
Am 29. März 2017 unterrichtete das Vereinigte Königreich den Europäischen Rat über seine Absicht, aus der Europäischen Union auszutreten. Sofern nicht ein ratifiziertes Austrittsabkommen ein anderes Datum vorsieht oder der Europäische Rat nach Artikel 50 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union im Einvernehmen mit dem Vereinigten Königreich einstimmig beschließt, dass die Verträge ab einem späteren Zeitpunkt keine Anwendung mehr finden, gilt das gesamte Primär- und Sekundärrecht der Union ab dem 30. März 2019 um 00.00 Uhr (MEZ) (Austrittsdatum) nicht mehr für das Vereinigte Königreich. Das Vereinigte Königreich wird dann zu einem Drittland. Die Interessenträger sowie die nationalen und EU-Behörden müssen sich daher auf zwei mögliche Hauptszenarien vorbereiten: Wird das Austrittsabkommen vor dem 30. März 2019 ratifiziert, tritt das EU-Recht ab dem 1. Januar 2021, d. h. nach einer Übergangsphase von 21 Monaten, für das Vereinigte Königreich und in dessen Hoheitsgebiet außer Kraft. - Wird das Austrittsabkommen hingegen nicht vor dem 30. März 2019 ratifiziert, gibt es keine Übergangsphase und das EU-Recht tritt ab dem 30. März 2019 für das Vereinigte Königreich und in dessen Hoheitsgebiet außer Kraft. Dieses Szenario wird als „No deal“ oder als „Sturz in den Abgrund“ bezeichnet. - Im vergangenen Jahr hat die Kommission das gesamte EU-Recht, den sogenannten „Besitzstand der Union“, gesichtet, um zu prüfen, ob der Austritt des Vereinigten Königreichs Änderungen erfordert. Zu diesem Zweck hat die Kommission spezifische gezielte Legislativvorschläge angenommen, um sicherzustellen, dass die EU-Vorschriften nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs in einer Union der 27 weiterhin reibungslos funktionieren werden. Darüber hinaus hat die Kommission mehr als 60 sektorspezifische Vermerke zu den Vorbereitungen auf den Brexit veröffentlicht, um die Öffentlichkeit über die Folgen eines Austritts des Vereinigten Königreichs ohne Austrittsabkommen zu informieren. Gerade die Vermerke im Hinblick auf Gesellschaftsrecht und Internationale Gerichtsbarkeit beleuchten die Schwierigkeiten, die kommen könnten: Gesellschaften des Vereinigten Königreichs wie vor allem Limited oder PLC müssen in den Mitgliedstaaten der EU nicht mehr anerkannt werden. Die Anwendbarkeit des vereinheitlichten europäischen Zivilprozessrechts wird stark eingeschränkt.

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Donnerstag, 5. Juli 2018

Vertragshändler: Der Erfüllungsortsgerichtsstand liegt in dem Mitgliedstaat, in dem die Ware oder Dienstleistung nach dem Vertrag erbracht wird, hilfsweise am Sitz des Vertragshändlers, EuGH C‑64/17-Saey Home & Garden


Der Rechtsstreit vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH C‑64/17) betrifft die Saey Home & Garden NV/SA mit Sitz in Belgien und die Lusavouga-Máquinas e Acessórios Industriais SA (im Folgenden: Lusavouga) mit Sitz in Portugal wegen einer Klage auf Schadensersatz aufgrund der Kündigung des zwischen diesen Gesellschaften in Bezug auf den spanischen Markt geschlossenen Vertriebsvertrags.
In der internationalen Rechtspraxis kommt es häufig vor, dass entgegen aller Beratung kein Gerichtsstand vertraglich festgelegt wird. Oft werden unzureichende Vertragsmuster aus dem Internet benutzt, teilweise ist die Gerichtsstandklausel formwidrig und damit unwirksam.
Gemäß Art. 25 Brüssel 1a-Verordnung (Nr. 1215/2012) können die Parteien einen Gerichtsstand vor allem schriftlich festlegen. Art. 25 lautet:
„(1) Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell ungültig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden:

a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder

c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.
…“
Die belgische Saey Home & Garden NV/SA hatte erstmals mittels Geschäftsbedingung auf ihrer Rechnung auf ihren Gerichtsstand in Kortrijk hingewiesen. Eine Vereinbarung nach den Buchstaben a oder b war damit nicht mehr möglich, aber auch ein entsprechender Handelsbrauch nach Buchstabe c wurde vom Gerichtshof verneint. Ein solcher nachträglicher Fakturengerichtsstand, wie ihn z. B. Österreich kennt (§ 88 Abs. 2 Jurisdiktionsnorm), ist gemäß Art. 25 Abs. 1c Brüssel 1a-Verordnung – wie der Europäische Gerichtshof jetzt erstmals höchstrichterlich entschieden hat – nicht möglich. Eine Gerichtsstandsklausel in Geschäftsbedingungen ist nur zulässig, wenn der von beiden Parteien unterzeichnete Vertragstext selbst ausdrücklich auf die die Gerichtsstandsklausel enthaltenden allgemeinen Geschäftsbedingungen Bezug nimmt (Urteil vom 7. Juli 2016, C‑222/15 - Hőszig, Rn. 39).
Wo aber liegt dann der Gerichtsstand eines Vertragshändler- oder allgemeiner Vertriebsvertrages?
In Art. 7 Brüssel 1a-Verordnung (Nr. 1215/2012) heißt es:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;

b) im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung

– für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;

– für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;

Der Gerichtshof erläutert hierzu in seiner Entscheidung, dass es sich zuallererst um einen Vertrag 
über den Verkauf beweglicher Sachen oder die Erbringung von Dienstleistungen handeln muss. Dienstleistungen seien als Tätigkeit gegen Entgelt zu verstehen.
„Das Kriterium des Vorliegens einer Tätigkeit erfordert nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Vornahme positiver Handlungen und schließt bloße Unterlassungen aus. Dieses Kriterium entspricht bei einem Vertriebsvertrag der charakteristischen Leistung, die der Vertragshändler erbringt, der durch die Gewährleistung des Vertriebs der Erzeugnisse des Lizenzgebers an der Förderung der Verbreitung dieser Erzeugnisse mitwirkt. Dank der ihm nach dem Betriebsvertrag zustehenden Beschaffungsgarantie und gegebenenfalls dank seiner Beteiligung an der Geschäftsstrategie des Lizenzgebers, insbesondere an Aktionen zur Absatzförderung – Umstände, deren Feststellung in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts fällt –, ist der Vertragshändler in der Lage, den Kunden Dienstleistungen und Vorteile zu bieten, die ein einfacher Wiederverkäufer nicht bieten kann, und somit für die Erzeugnisse des Lizenzgebers einen größeren Anteil am lokalen Markt zu erobern…
Das nach dieser Bestimmung für die Entscheidung über Klagen aus einem Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen zuständige Gericht ist im Fall der Leistungserbringung in mehreren Mitgliedstaaten folglich das Gericht des Mitgliedstaats, in dem sich der Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung befindet, wie er sich aus den Bestimmungen des Vertrags oder, mangels solcher Bestimmungen, aus dessen tatsächlicher Erfüllung ergibt; kann der fragliche Ort nicht auf dieser Grundlage ermittelt werden, so ist auf den Wohnsitz des Leistungserbringers abzustellen“
So bekommt der Rechtsanwender eine einfache Checkliste zur Ermittlung des richtigen Gerichts im Falle eines Vertriebsvertrags an die Hand:

1.      Gibt es einen gültige Gerichtsstandsvereinbarung? Falls nicht, dann 2.
2.      Wo liegt der Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung? Falls nicht, dann 3.
3.      Wo ist der Sitz des Vertragshändler/Leistungserbringers?

Nicht zuletzt ergibt sich damit auch ein Gleichlauf zum materiellen Recht nach der Rom I-Verordnung (Nr. 593/2008):

Art. 3 garantiert die freie Rechtswahl.

Art. 4 Abs. 1 lit. f legt fest, dass Vertriebsverträge dem Recht des Staates unterliegen, in dem der Vertriebshändler seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Mittwoch, 9. Mai 2018

Praxis der Forderungsdurchsetzung in der Europäischen Union – Cross-Border Enforcement


Die Zahlung einer Forderung durch einen Schuldner im Ausland ist nicht nur für Inkassobüros von Belang. Jede internationale Transaktion muss darauf geprüft werden, ob im Falle der Vertragsverletzung eine effektive Geltendmachung der resultierenden Forderung möglich ist. Im Rahmen der Vertragsgestaltung geht es dabei vor allem um die Frage des Gerichtsstands. Die Mandantin ist darüber aufzuklären, ob ein ausländischer Gerichtsstand vorteilhaft gegenüber einem inländischen Gerichtsstand mit anschließender Anerkennung/Vollstreckung im Ausland ist. Grundsätzlich bietet ein inländischer Gerichtsstand für das Erkenntnisverfahren viele Vorteile wie kurze Wege, vertrautes Verfahren, Gerichtssprache und nicht zuletzt einen „Heimvorteil“. Solche Vorteile können sich aber im Falle ungenügender Vollstreckung im Ausland, weil im Inland kein verwertbares Vermögen zur Verfügung steht, ins Gegenteil verkehren. Dabei kommt es nicht nur auf die Gesetzeslage, sondern auch die Möglichkeit der tatsächlichen Durchführung an.
Auf europäischer Ebene hat sich seit dem Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 (EuGVÜ - „Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“) viel getan. Dieser völkerrechtliche Vertrag wurde mit Ausnahme für Dänemark durch die Brüssel-I-Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO) abgelöst. Diese wurde wiederum durch die Brüssel Ia-VO vom 10. Januar 2015 von der VO (EU) Nr. 1215/2012 seit 10. Januar 2015 ersetzt.
Gegenüber den EFTA-Staaten (also Island, Norwegen, Schweiz, aber nicht Liechtenstein) gilt weiterhin das inhaltlich fast wörtlich mit der EuGVÜ übereinstimmende Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LGVÜ).
Die grundlegende Brüssel Ia-VO wird ergänzt und teilweise ersetzt durch die sogenannten EU-Verordnungen der „2. Generation“, nämlich die Unbestrittene-Forderungen-Vollstreckungstitel-VO (EuVTVO), die Europäischer Zahlungsbefehl- oder Mahnverfahrensverordnung (EuMahnVO), die Europäische Verordnung für geringfügige Forderungen („Small Claims“; EuGFVO) sowie Europäische Kontopfändungsverordnung (EuKpfVO). Bevor eine Forderung geltend gemacht wird, sind deshalb die verschiedenen europarechtlichen Wege zu prüfen:
1.      Brüssel Ia-VO
1.1.    Regelung der Zuständigkeit im Erkenntnis-, Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren
1.2.    Kein Erkenntnisverfahren
1.3.    Zivil- oder Handelssache
1.4.    Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats
1.5.    Anerkennung ohne ein besonderes Verfahren
1.6.    Kein Exequaturverfahren: Vollstreckung ohne Vollstreckbarerklärung
1.7.    Antrag auf Versagung der Vollstreckung
1.7.1. Ordre public
1.7.2. Klagezustellung
1.7.3. Widersprechende Entscheidungen
1.7.4. Internationale Zuständigkeit
2.      Unbestrittene-Forderungen-Vollstreckungstitel-VO (EuVTVO)
2.1.    Nur Vollstreckungs-, kein Erkenntnisverfahren
2.2.    Unbestrittene Forderung
2.2.1. wenn der Schuldner der Forderung entweder ausdrücklich zugestimmt hat,
2.2.2. nicht widersprochen hat,
2.2.3. sie in einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat oder
2.2.4. durch Säumnis ein stillschweigendes Zugeständnis begründet.
2.2.5. In Deutschland also vor allem Mahnbescheide und Versäumnisurteile
2.3.    Alle Zivil- und Handelssachen
2.4.    Vollstreckung durch Vorlage der Entscheidung samt Europäischem Vollstreckungstitel
2.5.    Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats
2.6.    Antrag auf Versagung der Vollstreckung
2.6.1. frühere Entscheidung
2.6.2. Unvereinbarkeit
3.      Europäischer Zahlungsbefehl oder Mahnverfahrensverordnung (EuMahnVO)
3.1.    Einheitliches Erkenntnisverfahren für unbestrittene Forderungen
3.2.    Zivil- und Handelsrechts
3.3.    Fällige Forderung
3.4.    Antrag durch einheitliches Formblatt in allen EG-Sprachen vor dem zuständigen Mahngericht
3.5.    Bearbeitung durch Rechtspfleger; Überprüfung dem Richter vorbehalten
3.6.    Anwendbarkeit und Zuständigkeit sehr komplex (insbesondere Art. 2 Abs. 2 lit. d MahnVO und Art. 6 Abs. 2 MahnVO)
3.7.    Schwierigkeiten bei der Zustellung
3.8.    Erlass regelmäßig binnen 30 Tagen
3.9.    Ohne Einspruch ergeht Europäischer Vollstreckungstitel.
3.10. Vollstreckungsverfahren nach dem Recht des Vollstreckungsstaates ohne weitere Vollstreckbarkeitserklärung durch ein Gericht
1.      Europäische Verordnung für geringfügige Forderungen („Small Claims“; EuGFVO)
1.1.    Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren auch streitiger Forderungen
1.2.    Für Zivilrechtstreitigkeiten bis 2.000 € (de lege ferenda: 5.000 €)
1.3.    Einfache Verfahrenseinleitung mittels Formblatt
1.4.    Kein Anwaltszwang
1.5.    Grundsätzlich schriftliches Verfahren; ausnahmsweise Videokonferenz
1.6.    Freibeweis
1.7.    Zügige Verfahrensbeendigung durch klare Fristenvorgaben
1.8.    Kostenerstattung durch die unterlegene Seite mit Höhenbegrenzung
1.9.    EU-weit vollstreckbare Entscheidung
1.10. Gewährleistung der Verkehrsfähigkeit über Bestätigung mittels Formblatt
1.11. Kein Vollstreckungsschutz wie nach Brüssel 1a-VO (Antrag auf Versagung der Vollstreckung)
2.      Europäische Kontopfändungsverordnung (EuKpfVO)
2.1.    Vorläufiges Erkenntnisverfahren mit beschränkter Vollstreckung; entspricht Arrestverfahren in Deutschland
2.2.    Anwendbar für Europäischen Wirtschaftsraum
2.3.    Zivil- und Handelssachen
2.4.    Vor, während und nach Erlangung einer gerichtlichen Entscheidung möglich
2.5.    Beschleunigtes Verfahren
2.6.    Kurze Fristen (Art. 18 EuKoPfVO)
2.7.    Anleitungen zur Beantragung online in den Sprachen der Mitgliedsstaaten
2.8.    nur vorläufige Pfändung / keine Einziehung
3.      Fazit:
Die Vollstreckbarkeit von Forderungen im europäischen Ausland hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Bei Anwendung der richtigen Verordnung ist effektiver Rechtsschutz möglich. Ein deutscher Gerichtsstand ist damit nicht zuletzt attraktiver geworden.





Freitag, 23. Februar 2018

Zwei Verfahren ermöglichen dem Oberlandesgericht Stuttgart, die Anforderungen an die Dringlichkeit im einstweiligen Verfügungsverfahren im Wettbewerbs-/Markenrecht klarzustellen

Seine Geschwindigkeit macht das einstweilige Verfügungsverfahren attraktiv. In diesem Bereich der immateriellen Güter muss schnell staatliche Hilfe zur Verfügung stehen. Demgemäß hat sich das Verfahren aber auf einen Verhandlungstermin zu konzentrieren.
Allen in diesem Bereich tätigen Juristen sind diese formellen Anforderungen geläufig. Manchmal müssen Außenseiter darauf hingewiesen werden.
„Ein Schriftsatznachlass kann im Verfahren der einstweiligen Verfügung nicht gewährt werden“ (OLG Stuttgart Urteil vom 5.1.2017, 2 U 95/16).
„Die Dringlichkeitsvermutung aus § 12 Abs. 2 UWG gilt analog für Unterlassungsansprüche aus dem Markenrecht.“ (OLG Stuttgart Urteil vom12.10.2017, 2 U 162/16).
Zum Antrag auf Schriftsatznachlass führt das Oberlandesgericht aus:
„Ein Schriftsatznachlass kann im Verfahren der einstweiligen Verfügung nicht gewährt werden. Die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach der Zivilprozessordnung sind auf eine sofortige Entscheidung des Gerichts ausgerichtet, um einen gegebenen Anspruch schnell zu sichern oder die durch eine Zustellung des Antrages geschaffene Rechtsunsicherheit schnell zu beenden. Um diesem Zweck zu genügen, besteht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die auch im Hauptsacheverfahren bestehende Prozessförderungspflicht eine erweiterte Beibringungsobliegenheit. Es ist allein Aufgabe der Parteien, in einem angesetzten Verhandlungstermin vortragen zu können und alle Mittel zur Glaubhaftmachung ihres Prozessvortrages präsent zu stellen; eine Ladung von Zeugen oder Sachverständigen durch das Gericht findet nicht statt. Eine Vertagung der mündlichen Verhandlung zum Zwecke einer Beweisaufnahme oder zur Ermöglichung weiteren Vorbringens scheidet aus, und auch die Gewährung eines Schriftsatznachlasses gemäß § 283 ZPO ist mit dieser gesetzlichen Zielvorgabe unvereinbar (Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 05. Januar 2009 - 5 U 194/07, bei juris Rz. 18; vgl. zu Besonderheiten des Verfahrens auch OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08. November 2013 - 10 U 39/13, bei juris Rz. 17).“
Zur Anwendbarkeit der wettbewerbsrechtlichen Dringlichkeitsvermutung führt das Oberlandesgericht aus:
„Der Senat hält daran fest, dass die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG auf Unterlassungsansprüche aus dem Markenrecht analog anzuwenden ist (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 04. Juli 2013 - 2 U 157/12, GRUR-RR 2014, 251). Nach § 12 Abs. 2 UWG wird die durch einen Verstoß kraft Gesetzes vermutete Dringlichkeit für einen Unterlassungsantrag widerlegt, wenn der Gläubiger durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass es ihm mit der Durchsetzung seines Antrages nicht eilig ist. Hauptfallgruppe der Selbstwiderlegung ist die verzögerliche Prozessführung, etwa durch Anträge auf Terminverschiebung oder Fristverlängerung oder ein unverständlich langes Zuwarten zwischen der Erkenntnis von dem Verstoß und der Antragstellung bei Gericht. Den Zeitpunkt der Kenntnisnahme vom Verstoß hat der Schuldner darzulegen und glaubhaft zu machen, da es ihm obliegt, die gesetzliche, durch den Verstoß begründete Vermutung zu widerlegen und nicht bloß zu erschüttern (OLG Stuttgart, Urteil vom 04. Juli 2013 - 2 U 157/12, GRUR-RR 2014, 251, bei juris Rz. 23 ff., m.w.N.); eine gesetzliche Vermutung ist insoweit stärker als ein Anscheinsbeweis und diesem nicht gleichzusetzen.
Der erkennende Senat geht diesbezüglich nicht von einer starren Frist aus. Eine solche fände im Gesetzeswortlaut auch keine Stütze. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates ist eine Zeitspanne von unter einem Monat - abgesehen von Fällen der besonderen Dringlichkeit, wie sie beispielsweise bei Messe- oder Marktsachen häufig gegeben sein wird - regelmäßig unschädlich, wohingegen ein Zuwarten von über acht Wochen regelmäßig die Dringlichkeitsvermutung widerlegt. Jedoch sind die Besonderheiten des Falles zu berücksichtigen.
Schädlich sind alle Zeitläufte bloßen Zuwartens, die nicht mehr mit einer beschleunigten Sachbearbeitung zum Zwecke der raschen Anspruchsdurchsetzung zu begründen sind (vgl. zum Ganzen auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., 2016, Rn. 3.15 ff. zu § 12 UWG, m.w.N.), so in aller Regel Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsanträge im gerichtlichen Verfahren.