Mittwoch, 9. Mai 2018

Praxis der Forderungsdurchsetzung in der Europäischen Union – Cross-Border Enforcement


Die Zahlung einer Forderung durch einen Schuldner im Ausland ist nicht nur für Inkassobüros von Belang. Jede internationale Transaktion muss darauf geprüft werden, ob im Falle der Vertragsverletzung eine effektive Geltendmachung der resultierenden Forderung möglich ist. Im Rahmen der Vertragsgestaltung geht es dabei vor allem um die Frage des Gerichtsstands. Die Mandantin ist darüber aufzuklären, ob ein ausländischer Gerichtsstand vorteilhaft gegenüber einem inländischen Gerichtsstand mit anschließender Anerkennung/Vollstreckung im Ausland ist. Grundsätzlich bietet ein inländischer Gerichtsstand für das Erkenntnisverfahren viele Vorteile wie kurze Wege, vertrautes Verfahren, Gerichtssprache und nicht zuletzt einen „Heimvorteil“. Solche Vorteile können sich aber im Falle ungenügender Vollstreckung im Ausland, weil im Inland kein verwertbares Vermögen zur Verfügung steht, ins Gegenteil verkehren. Dabei kommt es nicht nur auf die Gesetzeslage, sondern auch die Möglichkeit der tatsächlichen Durchführung an.
Auf europäischer Ebene hat sich seit dem Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 (EuGVÜ - „Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“) viel getan. Dieser völkerrechtliche Vertrag wurde mit Ausnahme für Dänemark durch die Brüssel-I-Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO) abgelöst. Diese wurde wiederum durch die Brüssel Ia-VO vom 10. Januar 2015 von der VO (EU) Nr. 1215/2012 seit 10. Januar 2015 ersetzt.
Gegenüber den EFTA-Staaten (also Island, Norwegen, Schweiz, aber nicht Liechtenstein) gilt weiterhin das inhaltlich fast wörtlich mit der EuGVÜ übereinstimmende Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LGVÜ).
Die grundlegende Brüssel Ia-VO wird ergänzt und teilweise ersetzt durch die sogenannten EU-Verordnungen der „2. Generation“, nämlich die Unbestrittene-Forderungen-Vollstreckungstitel-VO (EuVTVO), die Europäischer Zahlungsbefehl- oder Mahnverfahrensverordnung (EuMahnVO), die Europäische Verordnung für geringfügige Forderungen („Small Claims“; EuGFVO) sowie Europäische Kontopfändungsverordnung (EuKpfVO). Bevor eine Forderung geltend gemacht wird, sind deshalb die verschiedenen europarechtlichen Wege zu prüfen:
1.      Brüssel Ia-VO
1.1.    Regelung der Zuständigkeit im Erkenntnis-, Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren
1.2.    Kein Erkenntnisverfahren
1.3.    Zivil- oder Handelssache
1.4.    Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats
1.5.    Anerkennung ohne ein besonderes Verfahren
1.6.    Kein Exequaturverfahren: Vollstreckung ohne Vollstreckbarerklärung
1.7.    Antrag auf Versagung der Vollstreckung
1.7.1. Ordre public
1.7.2. Klagezustellung
1.7.3. Widersprechende Entscheidungen
1.7.4. Internationale Zuständigkeit
2.      Unbestrittene-Forderungen-Vollstreckungstitel-VO (EuVTVO)
2.1.    Nur Vollstreckungs-, kein Erkenntnisverfahren
2.2.    Unbestrittene Forderung
2.2.1. wenn der Schuldner der Forderung entweder ausdrücklich zugestimmt hat,
2.2.2. nicht widersprochen hat,
2.2.3. sie in einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat oder
2.2.4. durch Säumnis ein stillschweigendes Zugeständnis begründet.
2.2.5. In Deutschland also vor allem Mahnbescheide und Versäumnisurteile
2.3.    Alle Zivil- und Handelssachen
2.4.    Vollstreckung durch Vorlage der Entscheidung samt Europäischem Vollstreckungstitel
2.5.    Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats
2.6.    Antrag auf Versagung der Vollstreckung
2.6.1. frühere Entscheidung
2.6.2. Unvereinbarkeit
3.      Europäischer Zahlungsbefehl oder Mahnverfahrensverordnung (EuMahnVO)
3.1.    Einheitliches Erkenntnisverfahren für unbestrittene Forderungen
3.2.    Zivil- und Handelsrechts
3.3.    Fällige Forderung
3.4.    Antrag durch einheitliches Formblatt in allen EG-Sprachen vor dem zuständigen Mahngericht
3.5.    Bearbeitung durch Rechtspfleger; Überprüfung dem Richter vorbehalten
3.6.    Anwendbarkeit und Zuständigkeit sehr komplex (insbesondere Art. 2 Abs. 2 lit. d MahnVO und Art. 6 Abs. 2 MahnVO)
3.7.    Schwierigkeiten bei der Zustellung
3.8.    Erlass regelmäßig binnen 30 Tagen
3.9.    Ohne Einspruch ergeht Europäischer Vollstreckungstitel.
3.10. Vollstreckungsverfahren nach dem Recht des Vollstreckungsstaates ohne weitere Vollstreckbarkeitserklärung durch ein Gericht
1.      Europäische Verordnung für geringfügige Forderungen („Small Claims“; EuGFVO)
1.1.    Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren auch streitiger Forderungen
1.2.    Für Zivilrechtstreitigkeiten bis 2.000 € (de lege ferenda: 5.000 €)
1.3.    Einfache Verfahrenseinleitung mittels Formblatt
1.4.    Kein Anwaltszwang
1.5.    Grundsätzlich schriftliches Verfahren; ausnahmsweise Videokonferenz
1.6.    Freibeweis
1.7.    Zügige Verfahrensbeendigung durch klare Fristenvorgaben
1.8.    Kostenerstattung durch die unterlegene Seite mit Höhenbegrenzung
1.9.    EU-weit vollstreckbare Entscheidung
1.10. Gewährleistung der Verkehrsfähigkeit über Bestätigung mittels Formblatt
1.11. Kein Vollstreckungsschutz wie nach Brüssel 1a-VO (Antrag auf Versagung der Vollstreckung)
2.      Europäische Kontopfändungsverordnung (EuKpfVO)
2.1.    Vorläufiges Erkenntnisverfahren mit beschränkter Vollstreckung; entspricht Arrestverfahren in Deutschland
2.2.    Anwendbar für Europäischen Wirtschaftsraum
2.3.    Zivil- und Handelssachen
2.4.    Vor, während und nach Erlangung einer gerichtlichen Entscheidung möglich
2.5.    Beschleunigtes Verfahren
2.6.    Kurze Fristen (Art. 18 EuKoPfVO)
2.7.    Anleitungen zur Beantragung online in den Sprachen der Mitgliedsstaaten
2.8.    nur vorläufige Pfändung / keine Einziehung
3.      Fazit:
Die Vollstreckbarkeit von Forderungen im europäischen Ausland hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Bei Anwendung der richtigen Verordnung ist effektiver Rechtsschutz möglich. Ein deutscher Gerichtsstand ist damit nicht zuletzt attraktiver geworden.





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