Die Zahlung einer Forderung durch einen Schuldner im Ausland
ist nicht nur für Inkassobüros von Belang.
Jede internationale Transaktion muss darauf geprüft werden, ob im Falle der
Vertragsverletzung eine effektive Geltendmachung der resultierenden Forderung
möglich ist. Im Rahmen der Vertragsgestaltung
geht es dabei vor allem um die Frage des Gerichtsstands. Die Mandantin ist
darüber aufzuklären, ob ein ausländischer Gerichtsstand vorteilhaft gegenüber
einem inländischen Gerichtsstand mit
anschließender Anerkennung/Vollstreckung im Ausland ist. Grundsätzlich bietet
ein inländischer Gerichtsstand für das Erkenntnisverfahren viele Vorteile wie
kurze Wege, vertrautes Verfahren, Gerichtssprache und nicht zuletzt einen
„Heimvorteil“. Solche Vorteile können sich aber im Falle ungenügender
Vollstreckung im Ausland, weil im Inland kein verwertbares Vermögen zur Verfügung steht, ins Gegenteil verkehren. Dabei kommt
es nicht nur auf die Gesetzeslage, sondern auch die Möglichkeit der tatsächlichen
Durchführung an.
Auf europäischer Ebene hat sich seit dem Brüsseler
Übereinkommen vom 27. September 1968 (EuGVÜ
- „Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung
gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“) viel getan. Dieser
völkerrechtliche Vertrag wurde mit Ausnahme für Dänemark durch die Brüssel-I-Verordnung
(EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO) abgelöst. Diese wurde wiederum durch die Brüssel Ia-VO vom 10. Januar 2015 von
der VO (EU) Nr. 1215/2012 seit 10. Januar 2015 ersetzt.
Gegenüber den EFTA-Staaten (also Island, Norwegen, Schweiz,
aber nicht Liechtenstein) gilt weiterhin das inhaltlich fast wörtlich mit der
EuGVÜ übereinstimmende Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit
und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(LGVÜ).
Die grundlegende Brüssel Ia-VO wird ergänzt und teilweise
ersetzt durch die sogenannten EU-Verordnungen der „2. Generation“, nämlich die Unbestrittene-Forderungen-Vollstreckungstitel-VO
(EuVTVO), die Europäischer Zahlungsbefehl-
oder Mahnverfahrensverordnung (EuMahnVO), die Europäische Verordnung für geringfügige Forderungen („Small
Claims“; EuGFVO) sowie Europäische Kontopfändungsverordnung
(EuKpfVO). Bevor eine Forderung geltend gemacht wird, sind deshalb die verschiedenen
europarechtlichen Wege zu prüfen:
1.
Brüssel
Ia-VO
1.1. Regelung
der Zuständigkeit im Erkenntnis-, Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren
1.2. Kein
Erkenntnisverfahren
1.3. Zivil-
oder Handelssache
1.4. Wohnsitz
im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats
1.5. Anerkennung
ohne ein besonderes Verfahren
1.6. Kein
Exequaturverfahren: Vollstreckung ohne Vollstreckbarerklärung
1.7. Antrag
auf Versagung der Vollstreckung
1.7.1. Ordre
public
1.7.2. Klagezustellung
1.7.3. Widersprechende
Entscheidungen
1.7.4. Internationale
Zuständigkeit
2.
Unbestrittene-Forderungen-Vollstreckungstitel-VO
(EuVTVO)
2.1. Nur
Vollstreckungs-, kein Erkenntnisverfahren
2.2. Unbestrittene
Forderung
2.2.1. wenn der
Schuldner der Forderung entweder ausdrücklich zugestimmt hat,
2.2.2. nicht
widersprochen hat,
2.2.3. sie in
einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat oder
2.2.4. durch
Säumnis ein stillschweigendes Zugeständnis begründet.
2.2.5. In
Deutschland also vor allem Mahnbescheide und Versäumnisurteile
2.3. Alle
Zivil- und Handelssachen
2.4. Vollstreckung
durch Vorlage der Entscheidung samt Europäischem Vollstreckungstitel
2.5. Vollstreckung
nach dem Recht des Vollstreckungsstaats
2.6. Antrag
auf Versagung der Vollstreckung
2.6.1. frühere
Entscheidung
2.6.2. Unvereinbarkeit
3.
Europäischer
Zahlungsbefehl oder Mahnverfahrensverordnung (EuMahnVO)
3.1. Einheitliches
Erkenntnisverfahren für unbestrittene Forderungen
3.2. Zivil-
und Handelsrechts
3.3. Fällige
Forderung
3.4. Antrag
durch einheitliches Formblatt in allen EG-Sprachen vor dem zuständigen
Mahngericht
3.5. Bearbeitung
durch Rechtspfleger; Überprüfung dem Richter vorbehalten
3.6. Anwendbarkeit
und Zuständigkeit sehr komplex (insbesondere Art. 2 Abs. 2 lit. d MahnVO und
Art. 6 Abs. 2 MahnVO)
3.7. Schwierigkeiten
bei der Zustellung
3.8. Erlass
regelmäßig binnen 30 Tagen
3.9. Ohne
Einspruch ergeht Europäischer Vollstreckungstitel.
3.10. Vollstreckungsverfahren
nach dem Recht des Vollstreckungsstaates ohne weitere Vollstreckbarkeitserklärung
durch ein Gericht
1.
Europäische
Verordnung für geringfügige Forderungen („Small Claims“; EuGFVO)
1.1. Erkenntnis-
und Vollstreckungsverfahren auch streitiger Forderungen
1.2. Für
Zivilrechtstreitigkeiten bis 2.000 € (de lege ferenda: 5.000 €)
1.3. Einfache
Verfahrenseinleitung mittels Formblatt
1.4. Kein
Anwaltszwang
1.5. Grundsätzlich
schriftliches Verfahren; ausnahmsweise Videokonferenz
1.6. Freibeweis
1.7. Zügige
Verfahrensbeendigung durch klare Fristenvorgaben
1.8. Kostenerstattung
durch die unterlegene Seite mit Höhenbegrenzung
1.9. EU-weit
vollstreckbare Entscheidung
1.10. Gewährleistung
der Verkehrsfähigkeit über Bestätigung mittels Formblatt
1.11. Kein
Vollstreckungsschutz wie nach Brüssel 1a-VO (Antrag auf Versagung der
Vollstreckung)
2.
Europäische
Kontopfändungsverordnung (EuKpfVO)
2.1. Vorläufiges
Erkenntnisverfahren mit beschränkter Vollstreckung; entspricht Arrestverfahren
in Deutschland
2.2. Anwendbar
für Europäischen Wirtschaftsraum
2.3. Zivil-
und Handelssachen
2.4. Vor,
während und nach Erlangung einer gerichtlichen Entscheidung möglich
2.5. Beschleunigtes
Verfahren
2.6. Kurze
Fristen (Art. 18 EuKoPfVO)
2.7. Anleitungen
zur Beantragung online in den Sprachen der Mitgliedsstaaten
2.8. nur
vorläufige Pfändung / keine Einziehung
3.
Fazit:
Die Vollstreckbarkeit von Forderungen im europäischen
Ausland hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Bei Anwendung der
richtigen Verordnung ist effektiver Rechtsschutz möglich. Ein deutscher
Gerichtsstand ist damit nicht zuletzt attraktiver geworden.
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