Der Rechtsstreit vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH C‑64/17) betrifft die Saey Home & Garden NV/SA
mit Sitz in Belgien und die Lusavouga-Máquinas e Acessórios Industriais SA (im
Folgenden: Lusavouga) mit Sitz in Portugal wegen einer Klage auf Schadensersatz
aufgrund der Kündigung des zwischen diesen Gesellschaften in Bezug auf den spanischen
Markt geschlossenen Vertriebsvertrags.
In der internationalen Rechtspraxis kommt es häufig vor,
dass entgegen aller Beratung kein Gerichtsstand
vertraglich festgelegt wird. Oft werden unzureichende Vertragsmuster aus dem
Internet benutzt, teilweise ist die Gerichtsstandklausel formwidrig und damit
unwirksam.
Gemäß Art. 25 Brüssel
1a-Verordnung (Nr. 1215/2012) können die Parteien einen Gerichtsstand vor
allem schriftlich festlegen. Art. 25 lautet:
„(1) Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz
vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine
bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem
bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden
sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats
zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses
Mitgliedstaats materiell ungültig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses
Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes
vereinbart haben. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden:
a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,
b) in einer Form, welche den
Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder
c) im internationalen Handel in
einer Form, die einem Handelsbrauch
entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von
Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und
regelmäßig beachten.
…“
Die belgische Saey Home & Garden NV/SA hatte erstmals
mittels Geschäftsbedingung auf ihrer
Rechnung auf ihren Gerichtsstand in Kortrijk hingewiesen. Eine Vereinbarung
nach den Buchstaben a oder b war damit nicht mehr möglich, aber auch ein
entsprechender Handelsbrauch nach Buchstabe c wurde vom Gerichtshof verneint.
Ein solcher nachträglicher Fakturengerichtsstand, wie ihn z. B. Österreich
kennt (§ 88 Abs. 2 Jurisdiktionsnorm), ist gemäß Art. 25 Abs. 1c Brüssel
1a-Verordnung – wie der Europäische Gerichtshof jetzt erstmals höchstrichterlich
entschieden hat – nicht möglich. Eine Gerichtsstandsklausel
in Geschäftsbedingungen ist nur zulässig, wenn der von beiden Parteien unterzeichnete Vertragstext selbst ausdrücklich auf
die die Gerichtsstandsklausel
enthaltenden allgemeinen Geschäftsbedingungen
Bezug nimmt (Urteil vom 7. Juli
2016, C‑222/15 - Hőszig,
Rn. 39).
Wo aber liegt dann der Gerichtsstand eines Vertragshändler-
oder allgemeiner Vertriebsvertrages?
In Art. 7 Brüssel
1a-Verordnung (Nr. 1215/2012) heißt es:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines
Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
1. a) wenn ein Vertrag oder
Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem
Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen
wäre;
b) im Sinne dieser Vorschrift –
und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der
Verpflichtung
– für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie
nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;
– für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem
Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten
erbracht werden müssen;
Der Gerichtshof erläutert hierzu in seiner Entscheidung,
dass es sich zuallererst um einen Vertrag
über den Verkauf beweglicher Sachen
oder die Erbringung von Dienstleistungen handeln muss. Dienstleistungen seien
als Tätigkeit gegen Entgelt zu
verstehen.
„Das Kriterium des Vorliegens einer Tätigkeit erfordert nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die
Vornahme positiver Handlungen und schließt bloße Unterlassungen aus. Dieses
Kriterium entspricht bei einem Vertriebsvertrag
der charakteristischen Leistung, die der Vertragshändler erbringt, der
durch die Gewährleistung des Vertriebs der Erzeugnisse des Lizenzgebers an der
Förderung der Verbreitung dieser Erzeugnisse mitwirkt. Dank der ihm nach dem
Betriebsvertrag zustehenden Beschaffungsgarantie und gegebenenfalls dank seiner
Beteiligung an der Geschäftsstrategie des Lizenzgebers, insbesondere an
Aktionen zur Absatzförderung – Umstände, deren Feststellung in die
Zuständigkeit des nationalen Gerichts fällt –, ist der Vertragshändler in der
Lage, den Kunden Dienstleistungen und Vorteile zu bieten, die ein einfacher
Wiederverkäufer nicht bieten kann, und somit für die Erzeugnisse des
Lizenzgebers einen größeren Anteil am lokalen Markt zu erobern…
Das nach dieser Bestimmung für die Entscheidung über Klagen
aus einem Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen zuständige Gericht
ist im Fall der Leistungserbringung in mehreren Mitgliedstaaten folglich das
Gericht des Mitgliedstaats, in dem sich der Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung befindet, wie er sich
aus den Bestimmungen des Vertrags oder, mangels
solcher Bestimmungen, aus dessen tatsächlicher Erfüllung ergibt; kann der
fragliche Ort nicht auf dieser Grundlage ermittelt werden, so ist auf den Wohnsitz des Leistungserbringers
abzustellen“
So bekommt der Rechtsanwender eine einfache Checkliste zur
Ermittlung des richtigen Gerichts im Falle eines Vertriebsvertrags an die Hand:
1.
Gibt es
einen gültige Gerichtsstandsvereinbarung? Falls nicht, dann 2.
2. Wo liegt der Ort der hauptsächlichen
Leistungserbringung? Falls nicht, dann 3.
3. Wo ist der Sitz des
Vertragshändler/Leistungserbringers?
Nicht zuletzt ergibt sich damit auch ein Gleichlauf zum
materiellen Recht nach der Rom
I-Verordnung (Nr. 593/2008):
Art. 3 garantiert die freie Rechtswahl.
Art. 4 Abs. 1 lit. f legt fest, dass Vertriebsverträge dem
Recht des Staates unterliegen, in dem der Vertriebshändler seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat.
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