Bei der
Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart geht es um das anwendbare Recht
bei der Verletzung einer Unionsmarke. Die Klägerin produziert und vertreibt
weltweit Parfüms unter verschiedenen Marken. Die Beklagte betreibt
E-Commerce-Plattformen, die sich an den chinesischen Markt richten. Mit ihrer
Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Unterlassung, Auskunft,
Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung vorgerichtlicher
Abmahnkosten wegen nach Ansicht der Klägerin markenrechtsverletzender Angebote,
die Verkäufer auf den E-Commerce-Plattformen der Beklagten eingestellt hatten.
Welches
materielle Recht muss angewandt werden? Für das einschlägige Deliktsstatut
besagt Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO:
„Bei
außervertraglichen Schuldverhältnissen aus einer Verletzung von
gemeinschaftsweit einheitlichen Rechten des geistigen Eigentums ist auf Fragen,
die nicht unter den einschlägigen Rechtsakt der Gemeinschaft fallen, das Recht
des Staates anzuwenden, in dem die Verletzung begangen wurde.“
Wie das
Oberlandesgericht richtig festhält betreffen sämtliche Klaganträge der Klägerin
die Verletzung einer Unionsmarke. Damit ist die Verordnung über die
Gemeinschaftsmarke (VO (EG) Nr. 207/2009; im Folgenden GMV) bzw. über die
Unionsmarke (VO (EU) 2017/1001; im Folgenden: UMV) anwendbar, wie sich aus Art.
129 Abs. 1 UMV i.V.m. Art. 124a UMV ergibt.
Ob die Angebote
auf der Plattform der Beklagten, die Anlass für die geltend gemachten
Unterlassungsansprüche der Klägerin sind, einen hinreichenden wirtschaftlich
relevanten Bezug zum Unionsgebiet haben, spielt für die Frage, welches Recht
anwendbar ist, nach Ansicht des Oberlandesgerichts keine Rolle. Der sog.
"commercial effect" spiele nur eine Rolle bei der Frage, welche
Reichweite bzw. welchen Anwendungsbereich das Unionsrecht hat. Das zeigten die
Ausführungen des EuGH in dem einschlägigen Urteil vom 12.07.2011, C-324/09
(L'Oréal/eBay) in Rn. 58 ff., insbesondere Rn. 64, wo der EuGH ausführt, dass
Websites und Anzeigen, die offensichtlich ausschließlich an Verbraucher in
Drittstaaten gerichtet sind, gleichwohl aber im Gebiet der EU technisch
zugänglich sind, nicht dem Unionsrecht unterliegen, und in Rn. 66, wo er vom
Anwendungsbereich der Unionsnormen im Bereich des Markenschutzes spricht. Auch
die OSCAR-Entscheidung des BGH vom 08.03.2012 (I ZR 75/10, GRUR 2012, 621)
bestätige dies. Denn ausweislich des zweiten Leitsatzes dieser Entscheidung und
den Ausführungen unter Rn. 34 ff. ist der wirtschaftlich relevante Inlandsbezug
bei der Frage, ob eine zeichenrechtlich relevante Verletzungshandlung im Inland
vorliegt, zu prüfen, nicht aber bei der Frage, ob überhaupt das nationale
Markenrecht anwendbar ist.
Auf den
Schadensersatzanspruch sei deshalb nicht chinesisches, sondern deutsches Recht
anzuwenden. Nach Art. 129 Abs. 2 UMV wendet das Unionsmarkengericht in allen
Markenfragen, die nicht durch die UMV erfasst werden, das geltende nationale
Recht an. Schadensersatzansprüche sind nicht durch die UMV erfasst
(Eisenführ/Overhage in Eisenführ/Schennen, aaO., Art. 101, Rn. 5).
Welches Recht
das anwendbare Recht im Sinne von Art. 129 Abs. 2 UMV ist, ergäbe sich aus Art.
8 Abs. 2 Rom II-VO (Eisenführ/Overhage, aaO., Art. 101, Rn. 10; Drexl in
MüKo/BGB, Bd. XII, 7. Aufl. 2018, Teil 8, Internationales Immaterialgüterrecht,
Rn. 141; Fezer/Koos, in Staudinger [2019] EGBGB , Internationales
Wirtschaftsrecht, Rn. 959). Danach sei bei außervertraglichen
Schuldverhältnissen aus einer Verletzung von gemeinschaftsweit einheitlichen
Rechten des geistigen Eigentums auf Fragen, die nicht unter den einschlägigen
Rechtsakt der Gemeinschaft fallen, das Recht des Staates anzuwenden, in dem die
Verletzung begangen wurde. Das danach bezeichnete Recht sei nach Art. 3 Rom
II-VO auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist.
Der EuGH habe in
dem Fall Nintendo/BigBen, der ein Geschmacksmuster betraf (Urteil vom
27.09.2017, C-24/16 und C-25/16), festgestellt, dass der Begriff des "Staates
..., in dem die Verletzung begangen wurde" sich von dem Kriterium in Art.
4 Abs. 1 Rom II-VO (Staat, "in dem der Schaden eintritt")
unterscheide und dahingehend auszulegen sei, dass darunter der Staat zu
verstehen sei, in dem die Verletzungshandlung begangen worden sei (aaO., Rn.
98). In einem Fall, in dem einem Wirtschaftsteilnehmer vorgeworfen werde, dass
über seine Website ohne Zustimmung des Rechteinhabers Waren zum Kauf angeboten
werden, sei der Ort des
schadensbegründenden Ereignisses der Ort, an dem der Prozess der
Veröffentlichung des Angebots durch den Wirtschaftsteilnehmer auf seiner
Website in Gang gesetzt worden sei (aaO., Rn. 108).
Die
Veröffentlichung der Angebote auf der Website der Beklagten hat unstreitig in
China stattgefunden. Mithin wäre chinesisches Recht anwendbar. Ob das IPR
Chinas eine Rückverweisung enthält, wäre nach Art. 24 Rom II-VO ausdrücklich
unbeachtlich.
Der
Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO sei nach gerichtlicher Ansicht jedoch
teleologisch zu reduzieren, wenn - anders als in der oben zitierten Entscheidung
des EuGH vom 27.09.2017, C-24/16 und C-25/16 - der Staat, in dem die
Verletzungshandlung vorgenommen wurde, kein
Mitgliedstaat der EU ist. Denn es sei nicht davon auszugehen, dass der
europäische Gesetzgeber die Durchsetzung von Unionsschutzrechten nach dem
Immaterialgüterrecht eines Drittstaats bestimmen wollte. Gegen eine solche
Absicht spreche wesentlich der Umstand, dass der europäische Gesetzgeber mit
der Richtlinie 2004/48/EG (im Folgenden: Durchsetzungs-RL) das Ziel verfolgt,
die in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsvorschriften zur Durchsetzung der Rechte des geistigen
Eigentums einander anzunähern, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes
Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten
(Erwägungsgrund 10). Beispielsweise haben die Mitgliedstaaten nach Art. 13 der
Durchsetzungs-RL sicherzustellen, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der
geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder
vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung
vornahm, dem Rechteinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der
Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz
zu leisten hat. Würden nun die Sanktionen zur Durchsetzung von
Unionsschutzrechten nach dem Immaterialgüterrecht eines Drittstaats bestimmt
werden, dann könnte das Unionsrecht entgegen dem mit der Durchsetzungs-RL
verfolgten Ziel gerade keinen ausreichenden Rechtsschutz für
Verletzungshandlungen, die Schäden im Gebiet der Europäischen Union
verursachen, bieten. Sähe das Sachrecht des Drittstaats überhaupt keine
Vorkehrungen für Nebenansprüche aus der Verletzung eines europäischen
Rechtstitels vor, käme es sogar zu einem vollständigen Leerlauf der Verweisung
(Grünberger in Hüßtege/Mansel, BGB - Band 6 Rom-Verordnungen, 3. Aufl. 2019,
Rom II-VO Art. 8, Rn. 68).
Der
Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO sei daher teleologisch zu
reduzieren. Die Vorschrift findet nur
Anwendung, wenn der Staat, in dem die Verletzungshandlung vorgenommen wurde,
ein Mitgliedstaat der EU ist, denn die Funktion der Vorschrift beschränkt sich
auf eine unter Anknüpfung für das Territorium der EU (Drexl, aaO., Rn. 138;
lediglich die Meinung Drexls referierend ohne eigene Stellungnahme Fezer/Koos,
aaO., Rn. 966; zum selben Ergebnis - Nichtanwendbarkeit des Rechts des
Drittstaats - führt die Ansicht Grünbergers aaO., Rn. 68, dass in diesen Fällen
ausschließlich nach dem tatbestandlichen Handlungsortbegriff (Erfolgsort)
anzuknüpfen sei).
Auf die Fälle
des Handelns in einem Drittstaat - wie hier - sei sodann nach den klassischen
kollisionsrechtlichen Prinzipien das sachnächste
Recht eines Mitgliedstaates im Sinne einer Reserveanknüpfung zur Anwendung
zu bringen (Drexl, ebenda). Das sachnächste Recht ist hier deutsches Recht.
Denn eine Anknüpfung daran, in welchen EU-Staat wie viele Lieferungen erfolgt
sind, ergäbe vor dem Hintergrund, dass die Rechtsverletzung in einem Angebot
besteht und nicht in einer Lieferung, keinen Sinn. Und auf den Sitz des
Markeninhabers könne nicht abgestellt werden, weil dieser außerhalb der EU
liegt. Damit bleibe als einziger weiterer Anknüpfungspunkt der Sitz des
Lizenznehmers, d.h. der Klägerin, der in Deutschland liegt.
Das Urteil ist
zwiespältig: Dem Rechtsuchenden gibt es Brot und nicht Steine. Er erhält
zumindest relativ einfach einen Titel, der allerdings gegebenenfalls noch
außerhalb der EU zu vollstrecken wäre. Die Argumentation des Oberlandesgerichts
verkennt indes, dass die Rom II-VO diskriminierungsfreie
Kollisionsregeln aufstellt und nach Art. 3 Rom II-VO das nach dieser
Verordnung bezeichnete Recht auch dann anzuwenden sei, wenn es nicht das Recht
eines Mitgliedstaats sei. Der Rekurs auf den Effet utile in Form der
teleologischen Reduktion wirkt hier gegenüber dem chinesischen Recht doch ein
wenig chauvinistisch.