Donnerstag, 27. Februar 2025

Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Fernabsatzverträgen und Finanzdienstleistungen mit Nicht-EU-Staaten (Schweiz, Costa Rica) im Zusammenhang mit - BGH VIII ZR 226/22

Das Urteil des Bundesgerichtshofs verdeutlicht die Bedeutung des Verbraucherschutzes in grenzüberschreitenden Vertragsverhältnissen und schafft Präzedenz für die weite Auslegung des Begriffs „Finanzdienstleistung“. Rechtsanwälte sollten bei der Vertragsgestaltung sicherstellen, dass Rechtswahlklauseln und Verbraucherschutzregelungen den europäischen Standards entsprechen. Außerdem gilt:

·         Prüfung der Einordnung als Finanzdienstleister: Analyse, ob ein Geschäftsmodell Finanzdienstleistungscharakter hat.

·         Überprüfung der AGB & Vertragsgestaltung: Klare Widerrufsbelehrung und rechtskonforme Rechtswahl.

·         Compliance-Management einrichten: Interne Prozesse für Verbraucherschutz, Geldwäscheprävention und Transparenzpflichten implementieren.

·         Aufsichtsrechtliche Anforderungen beachten: Bei Finanzdienstleistungen ggf. Registrierung oder Genehmigung bei der BaFin einholen.

·         Risikoaufklärung für Kunden verbessern: Sicherstellen, dass Investitionen realistische Ertragserwartungen und Risikohinweise enthalten.

1.       Sachverhalt

1.1.    Die Beklagte, ein Unternehmen aus der Schweiz, bot Teakholz-Investitionen über Fernkommunikationsmittel an. Kunden konnten Teakbäume erwerben, die vom Unternehmen bewirtschaftet und später geerntet wurden.

1.2.    Der Kläger, ein Verbraucher aus Deutschland, schloss solche Verträge und widerrief diese später unter Berufung auf sein Widerrufsrecht.

1.3.    Die Streitpunkte umfassen:

1.3.1.  Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte.

1.3.2.  Die Anwendbarkeit deutschen Rechts trotz einer Rechtswahlklausel zugunsten des Schweizer Rechts.

1.3.3.  Die Frage, ob die Verträge als Finanzdienstleistungen gelten und ob ein Widerrufsrecht besteht.

2.       Rechtliche Begründung des Gerichts

2.1.    Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte

Die Zuständigkeit deutscher Gerichte wurde gemäß Art. Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, Art. 16 Abs. 1 Alt. 2 des Lugano-Übereinkommens (LugÜ II) bejaht, da die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit auf Deutschland ausgerichtet hatte (u.a. durch Zahlungsangaben in Euro und deutsche Kontoverbindungen).

Die geschäftsbedingungsmäßige Gerichtsstandsklausel, welche die Zuständigkeit auf die Schweiz beschränkt, wurde für unwirksam erklärt. Sie lautete: „Streitigkeiten aus dem Vertragswerk unterstehen einzig der ordentlichen Gerichtsbarkeit am Sitz [der Beklagten] in der Schweiz.“

Für die Auslegung des LugÜ II gelten dieselben Auslegungsgrundsätze wie für die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 12 S. 1; im Folgenden: Brüssel I-VO), da sich die Unterzeichnerstaaten zu einer möglichst einheitlichen Auslegung der Bestimmungen verpflichtet haben.

2.2.    Anwendbares Recht

Nach Art. 6 Rom I-VO gilt deutsches Recht, da die Beklagte ihre Tätigkeit auf Deutschland ausrichtete. Die Angabe des Kaufpreises in Euro, der aufgedruckte Hinweis, dass die Beklagte für jeden verkauften Baum „10 €/ct“ an UNICEF spenden werde, sowie eine Kontoverbindung in Deutschland sprechen für diese Ausrichtung.

Die Rechtswahl zugunsten des Schweizer Rechts in den AGB wurde gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO ausgeschlossen, da sie den Verbraucherschutz unter deutschem Recht beeinträchtigt hätte. Die Klausel lautete: „Das Vertragswerk untersteht Schweizerischem Recht ... Die Anwendung des Wiener Kaufrechts wird ausdrücklich ausgeschlossen.“

Die Parteien haben damit indes die Anwendung des CISG wirksam ausgeschlossen (Art. 6 CISG)

2.3.    Widerrufsrecht

Der Kläger hatte ein Widerrufsrecht nach § 312b, § 312d und § 355 BGB a.F., da die Verträge Fernabsatzverträge über Finanzdienstleistungen waren.

Ein Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB a.F. wurde verneint, da es sich nicht um rein spekulative Geschäfte handelte.

2.4.    Finanzdienstleistung

Der Begriff der Finanzdienstleistung wurde weit ausgelegt. Der Verkauf von Teakbäumen mit begleitender Verwaltung und Vermarktung erfüllte die Voraussetzungen einer Finanzdienstleistung gemäß § 312b BGB a.F. Der Erwerb von Teakbäumen durch Verbraucher war nicht als bloßer Kauf eines Sachguts zu betrachten. Die Beklagte übernahm nicht nur den Verkauf, sondern bot auch eine gesamte Bewirtschaftung, Verwaltung, Ernte und den späteren Weiterverkauf der Bäume an. Der wirtschaftliche Zweck der Transaktion war nicht der sofortige Erwerb von Teakholz zur eigenen Nutzung, sondern eine Kapitalanlage mit Renditeerwartung, vergleichbar mit Investitionen in Finanzinstrumente.

3.       Bewertung:

3.1.    Stärkung des Verbraucherschutzes

Das Urteil schützt Verbraucher vor ungünstigen Rechtswahlklauseln und ermöglicht den Rückgriff auf nationale Schutzvorschriften.

3.2.    Weite Auslegung des Finanzdienstleistungsbegriffs

Diese Interpretation berücksichtigt wirtschaftliche Realitäten, in denen Sachwerte oft wie Finanzinstrumente behandelt werden. Die Einordnung von Sachwerten als Finanzdienstleistungen könnte als Überdehnung der Definition angesehen werden.

3.3.    Konsequente Anwendung der LugÜ II-Regeln

Die Entscheidung stärkt die Rechtssicherheit in grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen.

3.4.    Höhere Compliance-Anforderungen für Unternehmen

Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind, könnten durch strengere Regelungen abgeschreckt werden. Die Anwendung nationaler Verbraucherschutzgesetze auf ausländische Unternehmen könnte Handelshemmnisse schaffen. Unternehmen, die Finanzdienstleistungen erbringen, unterliegen in der Regel einer aufsichtsrechtlichen Regulierung durch nationale oder europäische Behörden:

BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) in Deutschland für Finanzdienstleistungen.

Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) für EU-weite Vorgaben.

Ggf. Einordnung als Finanzdienstleistungsinstitut nach KWG (Kreditwesengesetz).

Falls die angebotenen Produkte als Wertpapiere eingestuft werden, sind zusätzliche Prospektpflichten nach WpHG (Wertpapierhandelsgesetz) oder VermAnlG (Vermögensanlagengesetz) zu beachten.

Außerdem treffen Unternehmen, die Finanzdienstleistungen erbringen, Informations- und Transparenzpflichten wie die Vollständige und klare Offenlegung aller Vertragsbestandteile (Art. 246a EGBGB). Unternehmen müssen Verbraucher über die Funktionsweise der Geldanlage, Risiken und erwartete Renditen aufklären. Auch gilt das Verbot von irreführender Werbung, insbesondere keine falschen Renditeversprechen oder Täuschung über Risiken.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen