Mittwoch, 15. Juli 2020

Was tun, wenn sich ausländisches Recht im Eilverfahren nicht abschließend ermitteln lässt?

Das Oberlandesgericht Frankfurt (30. Januar 2020 6 W 9/20) zeigt eine praxisgerechte Lösung. Jede Ermittlung gemäß § 293 ZPO wie ein Vollbeweis käme im Regelfall zu spät. Die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) ist auch hier das Mittel der Wahl.

„Ist im Eilverfahren der Inhalt des anzuwendenden Rechts aufgrund der Eilbedürftigkeit nicht zuverlässig zu ermitteln, ist weder nach deutschem Recht zu entscheiden noch der Antrag unter Darlegungslastgesichtspunkten zurückzuweisen. Vielmehr ist nach einer lediglich summarischen Schlüssigkeitsprüfung im Rahmen einer Abwägung der Interessen der Parteien zu entscheiden.“

Die Parteien streiten im Eilverfahren um einen wettbewerblichen Unterlassungsanspruch. Die Parteien schlossen einen Franchise-Vertrag hinsichtlich des sog. „MBST“-Therapiesystems für das Gebiet Italien. Mit Kündigungsschreiben vom 02.11.2018 erklärte die Antragstellerin die fristlose Kündigung, hilfsweise die Kündigung zum 31.01.2019. Die Antragsgegnerin betreibt die Webseite „x.it“, auf der sowohl in englischer als auch in italienischer Sprache unter der Bezeichnung „Y“ u.a. unter Benutzung verschiedener Lichtbilder der Antragstellerin, bei der die Markenbezeichnungen entfernt wurden, eine Magnetresonanztherapie beworben wird, die technisch der der Antragstellerin gleicht, ohne dass die Antragstellerin jedoch erwähnt wird. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegnerin die Beschreibung der Therapie und die Verwendung der Fotos ohne konkreten Hinweis auf die Antragstellerin untersagt werden sollte, mit Beschluss vom 27.12.2019 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot sei vor Eingang des Eilantrages abgelaufen. Lauterkeitsrechtliche Ansprüche scheiterten daran, dass nach Art. 6 I Rom II-VO italienisches Recht anwendbar sei. Der hiergegen eingelegten Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Ein Verstoß gegen italienische Wettbewerbsvorschriften sei nicht hirneichend glaubhaft gemacht. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Verfügungsantrag zu Recht zurückgewiesen, da die Antragstellerin weder auf vertraglicher Grundlage noch auf lauterkeitsrechtlicher Grundlage den begehrten Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin geltend machen kann.

Im Hinblick auf die hilfsweise geltend gemachten lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsansprüche hat das Landgericht zu Recht die Anwendung deutschen Rechts verneint; hinsichtlich des italienischen Rechts vermag der Senat im Eilverfahren keine hinreichend sicheren Feststellungen zu treffen. Das anwendbare Recht bei lauterkeitsrechtlichem Verhalten bestimmt sich grundsätzlich nach Art. 6 I Rom II-VO. Danach ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten das Recht des Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind. Im Hinblick auf den marktschützenden Charakter der Kollisionsregel beschränkt sich die spezielle Anknüpfung in Art. 6 I auf marktbezogene Verstöße, d.h. Verstöße, die nicht ausschließlich die Interessen eines bestimmten Mitbewerbers berühren. Beeinträchtigt ein unlauteres Verhalten hingegen ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers, gilt nach Art. 6 II die allgemeine deliktskollisionsrechtliche Regelung des Art. 4, die an den Ort des Schadenseintritts anknüpft. Unlauteres Wettbewerbsverhalten, das ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers beeinträchtigt, ist nicht denkbar, denn auch bilaterale Wettbewerbshandlungen wirken sich im Ergebnis auf den Markt und damit das Allgemeininteresse aus. Daher ist die Einschränkung des Art. 6 II nicht wortlautgetreu zu verstehen: Sie erfasst nur gezielt gegen einzelne Mitbewerber gerichtete Verstöße (BeckOGK/Poelzig/Windorfer, 1.12.2018, Rom II-VO Art. 6 Rn. 94-96). Diesen von Art. 6 Abs. 2 erfassten unternehmensbezogenen Eingriffen fehlt die unmittelbar marktvermittelte Einwirkung auf die geschäftlichen Entscheidungen der Marktgegenseite, die eine Sonderanknüpfung ausschließt. Ist allerdings ein unternehmensbezogener Eingriff mit marktvermittelten Einwirkungen auf die geschäftlichen Entscheidungen der ausländischen Marktgegenseite verbunden, so bleibt Art. 6 I Rom II-VO anwendbar (BGH GRUR 2010, 847 Rn. 19 - Ausschreibung in Bulgarien; BGH WRP 2014, 548 Rnr. 37, 38 - englischsprachige Pressemitteilung; BGH WRP 2017, 434 Rnr. 43 - World of Warcraft II; BGH WRP 2018, 1081 Rnr. 23 - goFit; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl., Einleitung, Rnr. 5.31 ff). Dazu gehört u.a. auch die Behinderung eines Mitbewerbers bei seinen Kunden oder das Angebot von Produktnachahmungen unter Täuschung über die betriebliche Herkunft (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl., Einleitung, Rnr. 5.32). In diesen Fällen wird auf die Verbraucher unlauter eingewirkt, insbesondere deren Fähigkeit zu einer informierten Entscheidung oder deren Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird. c) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Landgericht zu Recht von der Anwendbarkeit italienischen Rechts ausgegangen. (1) Mit dem Landgericht geht der Senat zunächst davon aus, dass Marktort im Sinne von Art. 6 I Rom II - VO Italien ist. Die Webseite www.x.it richtet sich ganz offensichtlich an den italienischen Markt. Dies wird nicht nur durch die First-Level-Domain „.it“ (Italien) deutlich, sondern auch durch die Tatsache, dass der die Domain bildende Begriff „x“ der italienischen Sprache entstammt und übersetzt „Schau in mich“ bedeutet. Hinzu kommt der in italienischer Sprache gehaltene Inhalt.  … d) Der Senat sieht sich nicht in der Lage, auf den vorliegenden Fall italienisches Wettbewerbsrecht anzuwenden. Die Antragstellerin hat zwar in der Beschwerde § 2598 und 2599 des italienischen Zivilgesetzbuches vorgelegt, ohne jedoch zu Systematik und Auslegung vorzutragen. Einziger Ansatzpunkt ist die Generalklausel in § 2598 III des italienischen Zivilgesetzbuches, die aufgrund ihrer Unbestimmtheit und Weite ohne Kenntnis der hierzu ergangenen Rechtsprechung für den Senat keine Grundlage für eine Entscheidung sein kann. Hinzu kommt, dass es sich bei § 4 Nr. 4 UWG um nicht harmonisiertes Recht handelt, so dass nicht gewährleistet ist, dass eine entsprechende Rechtsanwendung - und sei es nur den Grundzügen nach - auch in Italien erfolgt. Über weitergehende Erkenntnisquellen verfügt der Senat nicht. Der Senat wäre daher gehalten, insoweit im Rahmen von § 293 ZPO Beweis zu erheben. Für das Eilverfahren ist eine solche Beweiserhebung jedoch grundsätzlich ungeeignet, da die damit einhergehende Verzögerung mit dem Charakter des Eilverfahrens unvereinbar ist (Sommerlad, NJW 1991, 1377) e) Die Frage, wie einer derartigen Sondersituation im Eilverfahren umzugehen ist, ist umstritten. (1) Teilweise wird die Ansicht vertreten, in allen Fällen, in denen das ausländische Recht nicht sofort ermittelt werden kann, auf dem Weg der lex fori generell auf das deutsche Recht zurückzugreifen (MüKoBGB/Sonnenberger Einl. zum IPR Rnr. 449; MüKoUWG-Mankowski, Teil II.5, Rnr. 131; BeckOK-Bacher, ZPO, 35. Edition, § 293, Rnr. 24). Diese Lösung ist problematisch, weil sie die kollisionsrechtlichen Regelungen ohne rechtliche Grundlage außer Kraft setzt und somit zur Anwendung eines eigentlich nicht anwendbaren Rechts führt. Zudem hat der Gesetzgeber - in Kenntnis entsprechender gesetzlicher Regelungen in der Schweiz und Österreich von der Einführung einer vergleichbaren Regelung in Deutschland abgesehen. De lege ferenda ist nicht zu bezweifeln, dass eine Norm, wie sie das österreichische und das schweizerische Recht kennen, eine praktikable Lösung wäre. Sie bedürfte freilich auch im deutschen Recht einer eindeutigen Normierung, an der es fehlt (MüKo-Prütting, ZPO, 5. Aufl., § 293, Rnr. 66). (2) Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass in derartigen Fällen die Antragstellerin als „beweisfällig“ anzusehen ist (Nagel/Gottwald, S. 376; Schütze, S. 186; Geimer, Rnr. 2593), was der Senat indes ablehnt. Für den Inhalt ausländischen Rechts gibt es keine Beweislast im eigentlichen Sinn (Zöller-Geimer, § 293 Rnr. 16; Küppers, NJW 1976, 489; Sommerlad, NJW 1991, 1377). Diejenige Partei, die sich auf das Bestehen eines ausländischen Rechtssatzes beruft, muss die Existenz und den Inhalt eines bestimmten ausländischen Rechtssatzes im Bestreitensfall nicht beweisen und trägt daher grundsätzlich auch nicht das Risiko, im Falle der Nichtbeweisbarkeit mit dem Anspruch abgewiesen zu werden. Vielmehr sollte die Rechtspflicht des Gerichts, das ausländische Recht zu ermitteln, durch ein Misslingen der von der Partei angebotenen Nachweise unberührt bleiben. - Seite 8 von 8 - (3) Eine dritte Auffassung (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 293, Rnr. 57; Schack IPRax 1995, 158, 161; OLG Hamburg, IPrax 1990, 400 ff.), der der Senat folgt, sucht die Lösung des Problems darin, dass die Rechtsprüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in Form einer summarischen Schlüssigkeitsprüfung durchgeführt wird, die die wahre materielle Rechtslage weitgehend offenlässt. Da in einem solchen Fall die Richtigkeitsgewähr der Entscheidung erheblich reduziert ist, soll eine Abwägung der Interessen von Antragsteller und Antragsgegner hinzutreten. Unter Zugrundelegung der oben dargestellten Probleme des Senats bei einer auch nur summarischen Prüfung der Rechtslage sind daher die Interessen von Antragstellerin und Antragsgegnerin hier abzuwägen. Hierbei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin die Antragsgegnerin selbst im Hinblick auf die weitere Nutzung des Zeichens „MBST“ abgemahnt hatte. Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragsgegnerin die MBST-Therapie weiter unter Nennung der Marke und Therapieform der Antragstellerin unter mbst.terapia.it bewirbt, obwohl sie hierzu nach Ende des Vertrages nicht mehr verpflichtet wäre; dies relativiert den Vorwurf der Behinderung des Markteintritts in Italien für die Antragstellerin. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kern des Angriffs der Antragstellerin dagegen richtet, dass die Antragsgegnerin die Technik der Magnetresonanztherapie bewerben, ohne darauf aufmerksam zu machen, dass die Antragstellerin die Technologie „erfunden habe“. 

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