Donnerstag, 15. September 2016

Brexit nach Art. 50 Abs. 3 EU-Vertrag – erste Rechtsgedanken

„Die Verträge finden auf den betroffenen Staat ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der in Absatz 2 genannten Mitteilung keine Anwendung mehr… Ein Mitgliedstaat, der auszutreten beschließt, teilt dem Europäischen Rat seine Absicht mit.“ Art. 50 Abs. 2 und 3 EU-Vertrag
Die Volksabstimmung der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union („Brexit“) stellt in den nächsten Jahren eine Herausforderung für die Vertragsgestaltung im Hinblick auf das Vereinigte Königreich dar. Gemäß Art. 50 des EU-Vertrags sollen die Verträge spätestens nach zwei Jahren nach Mitteilung der Austrittsabsicht nicht mehr gelten. Darunter fallen wohl auch das gesamte Sekundärrecht und der Acquis communautaire.

Inwieweit die zukünftigen Rechtsbeziehungen wie im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mit Island, Norwegen und Liechtenstein geregelt werden, bleibt abzuwarten. Ein harter Austritt ohne Austrittsabkommen wird juristisch wohl nur mit Ausnahmeregelungen wie den Wegfall der Geschäftsgrundlage oder Ähnlichem gehandhabt werden können.
Für die Vertragsgestaltung gilt es insbesondere zu beachten:

1. Gerichtsstandsvereinbarung

Als Ersatz für die so genannte Brüssel Ia-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 12. Dezember 2012 (Verordnung Nr. 1215/2012) dürfte wohl das Luganer Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 für das Vereinigte Königreich in Kraft treten. Die Regelungen bleiben dann im Großen und Ganzen vergleichbar. Andernfalls sind für Deutschland die Vorschriften der Zivilprozessordnung, insbesondere §§ 12 ff., 38 ff. ZPO zur Gerichtsstandsvereinbarung, auch auf internationale Sachverhalte wie hier mit dem Vereinigten Königreich anzuwenden.

2. Rechtswahl

Die römischen Verordnungen, insbesondere Rom I über das auf vertragliche Schuldnerverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008 (Verordnung Nr. 593/2008) kommen nur noch in Deutschland als loi uniforme (Art. 2) zur Anwendung. Im Vereinigten Königreich wird trotzdem eine Rechtswahl weiterhin möglich sein („express or implied choice of law“) möglich sein. Ansonsten gilt das Recht des Landes, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufweist („centre of gravity“).
Im Rahmen des Gesellschaftsstatuts könnte die vor allem europarechtliche Pflicht zur Anerkennung ausländischer Gesellschaft nach der Besprechung des EuGH (u.a. „Inspire Art“) für eine englische Limited nicht mehr gelten. Der Bundesgerichtshof hält auch nach Einführung der Gründungstheorie für die deutsche GmbH bzw. Aktiengesellschaft an der Sitztheorie des deutschen Gesellschaftsrechts fest. Eine englische Kapitalgesellschaft verwandelte sich bei Sitzverlegung nach Deutschland also wieder in eine Personengesellschaft, regelmäßig in Form einer offenen Handelsgesellschaft. Das Aufleben der persönlichen Haftung der Gesellschafter wäre die Folge.

3. Salvatorische Klausel


Angesichts der Unwägbarkeiten der Fortgeltung vielfacher Regelungssysteme sollte jeder ab sofort im Hinblick auf das Vereinigte Königreich geschlossene Vertrag eine salvatorische Klausel enthalten. Der Streit um die Sinnhaftigkeit von salvatorischen Klauseln im Zivilrecht ist insoweit erledigt. Insbesondere auch eine Pflicht zur Neuverhandlung sollte eine salvatorische Klausel enthalten. Die automatische Geltung einer Regelung, die dem von den Parteien gewollten Vertragsinhalt möglichst nahe kommt, macht angesichts des möglichen Wegfalls kompletter Regelungssysteme nicht viel Sinn. Die Frage, was dann gelten soll, ist damit nicht beantwortet.

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