Das Oberlandesgericht Stuttgart und das Landgericht
Stuttgart stellen ihre Musterklausel zur Vereinbarung ihrer Zuständigkeit
als Commercial Court/Chambers vor. Damit wollen sie eine Alternative zur
anerkannten Schiedsgerichtsbarkeit bieten. Großen Unternehmen soll die
nationale Gerichtsbarkeit schmackhaft gemacht werden, nicht zuletzt, um wieder
mehr verfügbar Rechtsprechung zu schaffen. Gerade das Gesellschaftsrecht leidet
unter dem Mangel veröffentlichter Entscheidungen, um das Recht fortzubilden.
Am 1. April 2025 ist das Justizstandort-Stärkungsgesetz
in Kraft getreten. Damit werden die Länder ermächtigt, auf
Wirtschaftsstreitigkeiten spezialisierte Commercial Courts auf Ebene der
Oberlandesgerichte und Commercial Chambers auf Ebene der Landgerichte
einzurichten. Es gelten besondere Verfahrensinstrumente, die auf die
Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtet sind. Das Oberlandesgericht als erste
Instanz oder eine zulassungsfreie Revision zum Bundesgerichtshof klingen
attraktiv. Gemäß §§ 606 ff. ZPO kann das Verfahren jetzt auch vollständig auf Englisch
geführt werden. Der Organisationstermin (§ 612 ZPO) wirkt vielversprechend.
Auch die Möglichkeit des Wortprotokolls gemäß § 613 ZPO eröffneten neue
Perspektiven. Vielleicht wird der Audiomitschnitt des Verhandlungstermins auch
in Deutschland doch noch der Regelfall.
Baden-Württemberg setzt auf Gesellschaftsrecht.
Der Commercial Court Baden-Württemberg beim Oberlandesgericht Stuttgart und die
Commercial Chambers beim Landgericht Stuttgart bieten mit einer parallelen
Zuständigkeit für Unternehmenskäufe, Streitigkeiten auf dem Gebiet des
Gesellschaftsrechts einschließlich Organstreitsachen gleichermaßen eine moderne
und effiziente Streitbeilegungsmöglichkeit.
Leider hat der Gesetzgeber die Zuständigkeit für
die Beschlussanfechtung von der Möglichkeit der Prorogation zum Commercial
Court/Chambers ausgenommen. Insoweit sollten wohl nichtprofessionelle
Gesellschafter geschützt werden.
„Law – Made in Germany“ ist eine Initiative, die
das deutsche Rechtssystem sowie den Rechtsstandort Deutschland international
bewirbt. Ziel ist es, das deutsche Zivil- und Wirtschaftsrecht – insbesondere
das BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) und das HGB (Handelsgesetzbuch) – als
verlässlich, effizient, kostengünstig und gerecht darzustellen, um es für
internationale Verträge und Streitbeilegung attraktiv zu machen.
Der Slogan der Initiative könnte lauten: „Mit
deutschem Recht als Vertragsgrundlage schaffen Sie eine stabile, vorhersehbare
und international anerkannte Basis für Ihre Geschäfte – ohne die hohen Risiken
und Kosten anglo-amerikanischer Rechtssysteme.“
Mit etwas guten Mut lässt sich so der „Brussels
Effect“, also die weltweite Verbreitung europäischer, und damit auch deutscher
Rechtsstandards wie sie nicht zuletzt im Wettbewerbs- und Datenschutzrecht
bekannt sind, für eine Dynamisierung des deutschen Rechts nutzen.
Die von der Justiz vorgeschlagene Stuttgarter Musterklausel
zur Vereinbarung der Zuständigkeit des Commercial Court/Chambers lautet wie
folgt:
Commercial
Court Baden-Württemberg
Commercial Chambers Stuttgart
Der nachfolgende unverbindliche Entwurf
zeigt die mögliche Formulierung einer Zuständigkeitsklausel auf, um die
Regelungstechnik des Gesetzes zu verdeutlichen. Die Formulierungshilfe kann
eine fachkundige anwaltliche Beratung im jeweiligen Einzelfall nicht ersetzen.
Auch abweichende Formulierungen sind möglich. Für die Richtigkeit und
Vollständigkeit des Entwurfs sowie seine Eignung im Einzelfall wird keine
Haftung übernommen.
(1) Ausschließlicher internationaler und örtlicher
Gerichtsstand für alle Streitigkeiten zwischen den Parteien aus und im
Zusammenhang mit diesem Vertrag, seiner Gültigkeit, Auslegung und Durchführung
(einschließlich seiner Anlagen) ist Stuttgart, Deutschland.
(2) Die Parteien vereinbaren die ausschließliche
erstinstanzliche Zuständigkeit des Commercial Courts Baden-Württemberg am
Oberlandesgericht Stuttgart, sofern • die Streitigkeit in eines der Sachgebiete
nach § 7 Abs. 2 ZuVOJu BW in der jeweils gültigen Fassung fällt und • der
Streitwert die in § 119b Abs. 1 GVG genannte Streitwertschwelle erreicht oder
überschreitet [aktuell 500.000,00 Euro].
(3) Die Parteien sind sich einig, dass die
Streitigkeit von einer Commercial Chamber des Landgerichts Stuttgart
(Zivilkammer oder Kammer für Handelssachen) entschieden werden soll, sofern
• die Streitigkeit in eines der Sachgebiete nach §
7a Abs. 2 ZuVOJu BW in der jeweils gültigen Fassung fällt und
• der Streitwert die in § 119b Abs. 1 GVG genannte
Streitwertschwelle unterschreitet [aktuell 500.000,00 Euro].
Die funktionelle Zuständigkeit der Zivilkammer oder
der Kammer für Handelssachen als Commercial Chamber des Landgerichts Stuttgart
richtet sich nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen.
Variante 1:
Deutsche Verfahrenssprache
(4) Die Parteien sind sich einig, dass das
Verfahren nach Abs. 2 oder Abs. 3 in deutscher Sprache geführt werden soll. Die
Parteien verzichten auf die Übersetzung englischsprachiger Dokumente, die als
Anlagen zu Schriftsätzen vorgelegt oder sonst in das Verfahren eingeführt
werden.
Variante 2:
Englische Verfahrenssprache
(4) Die Parteien sind sich einig, dass das
Verfahren nach Abs. 2 oder Abs. 3 in englischer Sprache geführt werden soll.
Die Parteien verzichten auf die Übersetzung deutschsprachiger Dokumente, die
als Anlagen zu Schriftsätzen vorgelegt oder sonst in das Verfahren eingeführt
werden.
(5) Die Parteien verpflichten sich, die
erforderlichen Verfahrensanträge zu stellen, um die Zuständigkeit und
Verfahrensführung nach den vorstehenden Absätzen umzusetzen.
Anmerkungen:
1. § 7 Abs. 2 ZuVOJu BW in der Fassung
ab 04.04.2025 wird voraussichtlich lauten:
„Der Commercial Court ist im ersten
Rechtszug für die Bezirke der Oberlandesgerichte Karlsruhe und Stuttgart unter
den Voraussetzungen des § 119b Absatz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes für
folgende Streitigkeiten mit einem Streitwert ab 500 000 Euro zuständig:
1. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten
zwischen Unternehmern (§ 14 des Bürgerlichen Gesetzbuches) auf dem Gebiet des
Gesellschaftsrechts,
2. Streitigkeiten aus oder im
Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder von mindestens 3 % der
Anteile an einem Unternehmen,
3. Streitigkeiten zwischen Gesellschaft
und Mitgliedern des Leitungsorgans oder Aufsichtsrats. Die Zuständigkeit nach
Satz 1 gilt auch, soweit eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts
oder ein sonstiger ausschließlicher Gerichtsstand besteht. Von Satz 1
ausgenommen sind die in § 13 Absatz 2 genannten gerichtlichen Entscheidungen
sowie Streitigkeiten und Verfahren nach § 119b Absatz 1 Satz 4 des
Gerichtsverfassungsgesetzes."
2. § 7a Abs. 2 ZuVOJu BW in der Fassung
ab 04.04.2025 wird voraussichtlich lauten:
„Den Commercial Chambers am Landgericht
Stuttgart werden für den Bezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart im ersten
Rechtszug die in § 7 Absatz 2 Satz 1 Nummern 1 bis 3 genannten Streitigkeiten
zugewiesen, soweit eine sachliche Zuständigkeit des Landgerichts begründet ist.
§ 7 Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend. Die Zuständigkeit des Commercial Court
nach § 7 Absatz 2 Satz 1 bleibt hiervon unberührt."
3. Denkbar wäre in den Absätzen 2 und 3
der Klausel auch eine statische Verweisung auf die zum Zeitpunkt der
Unterzeichnung des Vertrages geltende Fassung von §§ 7, 7a ZuVOJu BW und eine
konkrete Aufführung der Streitwertschwelle von aktuell 500.000,00 Euro. Die
vorgesehene dynamische Verweisung in beiden Punkten hat den Vorteil, dass eine
Ausweitung der Sachgebiete und eine Absenkung der Streitwertschwelle in § 119b
Abs. 1 GVG, §§ 7, 7a ZuVOJu BW erfasst wären.
4. § 119b Abs. 2 GVG lässt die
Vereinbarung über die Zuständigkeit des Commercial Courts unabhängig von den
Voraussetzungen des § 38 ZPO zu. 5. Nach § 7a Abs. 2 ZuVOJu wird für die von
Absatz 3 erfassten Streitigkeiten eine Zuständigkeitskonzentration beim
Landgericht Stuttgart (Commercial Chambers) erfolgen, sofern ein örtlicher
Gerichtsstand im Bezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart liegt. Soweit in
anderen Fällen die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart
(Commercial Chambers) durch Vereinbarung nach Absatz 1 begründet werden soll,
sollten vorsorglich die Vorgaben von § 38 ZPO beachtet werden.