Donnerstag, 22. Juli 2021

Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beschlossen

Der Bundestag hat am 11. Juni 2021 das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, das sogenannte "Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz" (LkSG), verabschiedet. Das Gesetz wird zum 1. Januar 2023 in Kraft treten. Der Bundesrat erhebt keine Einwendungen.

Das Gesetz will den Schutz der Menschenrechte in globalen Lieferketten verbessern. Dabei geht es um die Einhaltung von Menschenrechtsstandards wie des Verbots von Kinderarbeit und Zwangsarbeit nach den einschlägigen internationalen Konventionen. Aber auch der Arbeitsschutz vor Ort (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG), die Koalitionsfreiheit im Hinblick auf Gewerkschaften, allgemeine Gleichbehandlung, angemessener Lohn und der Umweltschutz sind vom Gesetz erfasst.

Anwendungsbereich

Das LkSG ist anzuwenden auf Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben und in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Ab dem 1. Januar 2024 beträgt der Schwellenwert 1.000 Arbeitnehmer. Auffällig ist die Anknüpfung auch am Satzungssitz, sodass auch GmbHs oder Aktiengesellschaften mit Verwaltungssitz im Ausland betroffen sind. Außerdem sind alle Arbeitnehmer im Konzern zu berücksichtigen.

Sorgfaltspflichten

Unternehmen haben nach § 3 LkSG in ihren Lieferketten die festgelegten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. Hier geht es um eine Pflicht, sich zu bemühen, nicht aber eine Pflicht zum Erfolg oder gar eine Garantiehaftung. Was konkret angemessen ist, liegt im Beurteilungsspielraum des Unternehmens.

Zu den Sorgfaltspflichten gehören unter anderem

Einrichtung eines Risikomanagements,

Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit,

regelmäßiges Durchführen einer Risikoanalyse,

Ergreifen von Abhilfemaßnahmen,

Verabschiedung einer Grundsatzerklärung,

Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens für Personen, die durch wirtschaftliche Tätigkeiten im eigenen Geschäftsbereich des Unternehmens oder durch wirtschaftliche Tätigkeiten eines unmittelbaren Zulieferers unmittelbar betroffen sind, und

Umsetzung, Dokumentation und Berichterstattung.

Grundsätzlich müssen die unternehmerischen Maßnahmen mindestens einmal jährlich überprüft werden.

Das Unternehmen muss angemessene Präventionsmaßnahmen gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer verankern, insbesondere:

1. die Berücksichtigung der menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen bei der Auswahl eines unmittelbaren Zulieferers,

2. die vertragliche Zusicherung eines unmittelbaren Zulieferers, dass dieser die von der Geschäftsleitung des Unternehmens verlangten menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Vorgaben einhält und entlang der Lieferkette angemessen adressiert,

3. die Vereinbarung angemessener vertraglicher Kontrollmechanismen sowie die Durchführung von Schulungen und Weiterbildungen zur Durchsetzung der vertraglichen Zusicherungen des unmittelbaren Zulieferers nach Nummer 2,

4. die Durchführung risikobasierter Kontrollmaßnahmen auf Grundlage der vereinbarten Kontrollmechanismen nach Nummer 3, mit denen die Einhaltung der Menschenrechtsstrategie bei dem unmittelbaren Zulieferer überprüft wird.

Sollte keine Abhilfe beim Zulieferer möglich sein, kann das bis zum Abbruch der Geschäftsbeziehung führen.

Das Unternehmen hat jährlich einen Bericht über die Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr zu erstellen. Die Dokumentation der Erfüllung der Sorgfaltspflichten ist ab ihrer Erstellung mindestens sieben Jahre lang aufzubewahren.

Aufsicht

Zur Kontrolle und Durchsetzung des Gesetzes wird eine Kontrollstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle etabliert. Das Amt darf Anordnungen und Maßnahmen erlassen, Betriebsgrundstücke, Geschäftsräumen und Wirtschaftsgebäude der Unternehmen betreten sowie Auskünfte und Herausgabe verlangen. Bei Nichtumsetzung der Sorgfaltspflichten besteht nicht zuletzt die Gefahr der Einleitung von Ordnungswidrigkeitsverfahren.

Besondere Prozessstandschaft

Nicht als Verbandsklage, sondern in Form der Prozessstandschaft wird die Klagebefugnis ausgeweitet: Wer in einer Rechtsposition aus § 2 LkSG verletzt ist, kann zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Rechte einer inländischen Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation die Ermächtigung zur Prozessführung erteilen. Die Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation muss ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland haben. Der Prozessstandschafter muss gemäß § 50 ZPO parteifähig sein.

Unlauterer Wettbewerb

Gerade die Berichts- und Dokumentationspflicht der Unternehmen wird die Geltendmachung der Einhaltung der Marktverhaltensregeln des LkSG ermöglichen. Der Gesetzgeber selbst spricht davon, dass mit dem Gesetz fairen Wettbewerbsbedingungen Rechnung getragen werden soll. Im Grundsatz sollte jeder Wettbewerber die Verletzung der Sorgfaltspflichten als Rechtsbruch gemäß § 3a UWG verfolgen können.

Europäisches Lieferkettengesetz 

Der europäische Gesetzgeber hat bereits für ein deutlich strengeres Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht. Der Vorschlag eines europäischen Lieferkettengesetzes soll im Herbst dieses Jahrs folgen. Noch hat der Ausschuss für Normenkontrolle den aktuellen Vorschlag der Kommission wegen vager Problembeschreibung und fehlender Erläuterung der Erforderlichkeit gestoppt.


Mittwoch, 12. Mai 2021

Welches Gericht ist zuständig bei Klagen im Zusammenhang mit dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland? Welches Recht gilt?

Das Vereinigte Königreich ist durch den BREXIT zum Drittstaat im Sinne der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („EuGVVO“) geworden. Der Wohnsitz des Beklagten, nach dem oft unterschieden wird, ist damit nicht mehr innerhalb der Union.

1. §§ 12 ff. ZPO?

Gemäß Art. 6 EuGVVO bestimmt sich bei fehlendem Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats grundsätzlich nach dessen eigenem Recht. In Deutschland bestimmen die ZPO-Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit allgemein auch die internationale Zuständigkeit. Damit lebte insbesondere auch der Gerichtsstand des Vermögens gemäß § 23 ZPO im Hinblick auf britische Parteien wieder auf:

„Für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, die im Inland (= EU) keinen Wohnsitz hat, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich Vermögen derselben oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand befindet.“

Nicht vollständig unbeachtliches Vermögen in Deutschland führt also zu einer Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Die Pflicht zur Stellung einer Prozesskostensicherheit gemäß § 110 ZPO trifft nun auch britische Kläger.

„Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit“

Auch die Anerkennung und Vollstreckung gemäß §§ 328, 722 ZPO ist erheblich umständlicher.

2. EuGVÜ?

Andererseits könnte auch das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 wieder mit Leben erfüllt worden sein. Eigentlich gingen alle Mitgliedstaaten der Union davon aus, dass dieser völkerrechtliche Vertrag auch ohne förmliche Aufhebung durch die EuGVVO nicht mehr angewendet würde. Die Entscheidung hierüber obliegt aber dem angerufenen Gericht. Spannend wird diese Frage spätestens deshalb, weil der Europäische Gerichtshof zur Auslegung dieses Übereinkommens auch im Hinblick auf das Vereinigte Königreich berufen ist. Inhaltlich unterscheiden sich EuGVÜ und EuGVVO mittlerweile beträchtlich vor allem im Hinblick auf die Abschaffung des Exequaturverfahren sowie die Regelungen zum lis pendens zur Verhinderung sogenannter Torpedoklagen.

In Zukunft könnte ein Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Lugano-Übereinkommen eine Linderung dieser Auslegungsfragen bringen, da es wenigstens der Vorgänger-Verordnung des EuGVVO entspricht.

3. Haager Übereinkommen 2005?

Durch das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30. Juni 2005 kann zumindest für ausschließliche Prorogationen zwischen Unternehmen Sicherheit in deutsch-britischen Gerichtsverfahren erreicht werden. Beide Staaten sind Vertragspartei. Anerkennung und Vollstreckung in Deutschland erfolgen nach den Vorschriften des AVAG. Ein Exequaturverfahren ist nicht erforderlich, sondern nur ein Vollstreckungsantrag des Gläubigers.

4. Sonstige Abkommen

Für die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke sowie die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen finden die Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 bzw. 18. März 1970 Anwendung. Zusätzlich könnte das deutsch-britische Abkommen vom 20. März 1928 über den Rechtsverkehr beachtet werden.

5. Anwendbares Recht

Was das materielle Recht betrifft, so sind vor allem die Vorschriften nach den Rom I und II-Verordnungen ohne weiteres nur auf Sachverhalte anwendbar, in denen der Vertragsschluss oder das schadensbegründende Ereignis sich vor dem 1. Januar 2021 ereigneten. Zu beachten ist dabei wie schon immer, dass das Vereinigte Königreich nie Vertragsstaat des UN-Kaufrecht (CISG) geworden ist. Für Sachverhalte ab dem 1. Januar 2021 geltend aus deutscher Sicht grundsätzlich auch die Rom I und II-Verordnungen, doch auch hier stellt sich im Verhältnis zu Rom I die Frage, ob das vorhergehende Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 („EVÜ“) wieder auflebt. Das Vereinigte Königreich und Deutschland sind Parteien des Übereinkommens. Eine förmliche Kündigung gab es nicht.


Donnerstag, 18. Februar 2021

Incoterms®2020 auf ein Neues! Praktische Ratschläge für den Vertrieb

Nach zehn Jahren hat die Internationale Handelskammer in Paris (ICC) die Incoterms neu verfasst. Das ist ein guter Anlass, sich mit der rechtlichen Praxis dieser Klauseln auseinanderzusetzen.

Was sind die Incoterms?

Die Incoterms sind weltweit anerkannte, einheitliche Vertrags- und Lieferbedingungen. Sie vereinheitlichen die Abwicklung von Kaufverträgen vor allem im internationalen, aber auch im nationalen Handel. Mit der Auswahl einer Klausel mit wenigen Buchstaben lässt sich eine vertragliche Regelung von mehreren Seiten abkürzen, die aufgrund dieser Klausel gilt. Die Internationale Handelskammer bildet ungefähr alle zehn Jahre den Handelsbrauch mit diesen Klauseln ab. Ihre Geltung muss deshalb für jeden einzelnen Vertrag von den Parteien vereinbart werden. Sie gelten nicht aufgrund einer internationalen Konvention.

Was regeln die Incoterms?

Die Incoterms regeln vor allem den Umfang der Lieferpflicht. Dabei ist vor allem wichtig, wo die Ware zu übergeben wird, wer den Transport zu bezahlen hat, wer für die Versicherung der Ware und wer für die Verzollung verantwortlich ist. Die Bedeutung der Incoterms-Regeln liegt dabei in der durch ihre Verwendung gewonnenen Klarheit der gegenseitigen Verpflichtungen. Denn mithilfe der sehr kurzen, einfach zu vereinbarenden Klauseln können Missverständnisse und damit oft kostenintensive Streitigkeiten vermieden. Andere rechtliche Fragen wie Vertragsabschluss, die Eigentumsübertragung, die Zahlungsabwicklung oder die Rechtsfolgen von Vertragsbrüchen werden hingegen nicht geregelt. Maßgeblich hierfür sind die kaufvertraglichen Bestimmungen oder das dem Vertrag zugrundeliegende Recht.

Wie werden die Klauseln praktisch vereinbart?

Der in Großbuchstaben im Kaufvertrag (Auftrag, Auftragsbestätigung o. ä.) vermerkten Klausel ist der Hinweis auf die Incoterms 2020 anzufügen. Liefer- bzw. Bestimmungsort sind möglichst exakt anzugeben. Es macht einen Unterschied, an welchem Pier, welchem Hafen oder welcher Straße die Ware ankommen soll. Modifikationen sollten so wenig wie möglich und wenn, dann sehr präzise formuliert werden. Schiffsklauseln sind nur für den Schiffstransport sinnvoll. Die Verzollung durch in der EU ansässige Beteiligte beim Ex-/Import aus der/in die EU machen die Klauseln EXW und DDP impraktikabel. Nichteuropäische Käufer bzw. Verkäufer können die die Ware nicht freimachen.

Welche Klauseln gibt es?

Die Klauseln sind folgende:

EXW - Ex Works/Ab Werk

FCA - Free Carrier/Frei Frachtführer

FAS - Free Alongside Ship/Frei Längsseite Schiff

FOB - Free On Board/Frei an Bord

CFR - Cost and Freight/Kosten und Fracht

CIF - Cost, Insurance and Freight/Kosten, Versicherung und Fracht

CPT - Carriage Paid To/Frachtfrei

CIP - Carriage, Insurance Paid To/Frachtfrei versichert

DAP- Delivered At Place/ Geliefert benannter Ort

DPU - Delivered At Place Unloaded/Geliefert benannter Ort entladen

DDP - Delivered Duty Paid/Geliefert verzollt

Die Incoterms® 2020 entsprechen in ihrer Struktur und Einteilung der Vorgängerfassung Incoterms 2010. Die Klausel DAT (Geliefert Terminal) wurde in DPU (Geliefert benannter Ort entladen) geändert.

Manche Klauseln gelten nur für den Schiffstransport, nämlich FAS, FOB, CFR, CIF.

Jede Gruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass die Kosten- und Risikotragung (Gefahrübergang) innerhalb der Gruppe nach dem gleichen Grundprinzip ausgestaltet ist. Während außerdem die Pflichten des Verkäufers mit jeder Gruppe steigen, reduzieren sich diejenigen des Käufers entsprechend.

Drei häufige Klauseln sind:

EXW - Ex Works/Ab Werk ... benannter Ort

Die EXW-Klausel ist die verkäuferfreundlichste Lieferklausel. Sie ist eine reine Abholklausel. Sie bestimmt nur die Mindestverpflichtung des Verkäufers, die Produkte am benannten Ort zur Abholung bereitzustellen. Dem Verkäufer entstehen also keine Transportkosten. Auch das Verladen und Freimachen zur Ausfuhr ist nicht Sache des Verkäufers. Die Ware muss nur verpackt und gekennzeichnet sein.

Die Lieferung EXW macht allerdings keinen Sinn für den Verkäufer, wenn im Ausfuhrstaat die Verzollung durch den ausländischen Käufer nicht möglich ist. Dann wäre die Ware zwar bereitgestellt, könnte aber nicht geliefert werden. Hier ist es sinnvoll, die FCA-Klausel anzuwenden, also Free Carrier/Frei Frachtführer, sodass die Ware im Ausfuhrstaat durch den Verkäufer freigemacht wird und die Lieferung fortgesetzt werden kann.

CIP - Carriage, Insurance Paid To/Frachtfrei versichert ... benannter Bestimmungsort

Sozusagen in der Mitte treffen sich Verkäufer und Käufer mit dieser Klausel. Der Verkäufer muss die Ware dem von ihm benannten Frachtführer liefern. Zusätzlich hat er die Frachtkosten zu übernehmen, um die Ware zum benannten Bestimmungsort zu befördern. Außerdem hat er den Transportversicherungsvertrag (wieder nur mit Mindestdeckung) auf seine Kosten abzuschließen. Die CIP-Klausel verpflichtet den Verkäufer außerdem zur Verpackung und zur Freimachung der Ausfuhr.

DDP - Delivered Duty Paid/Geliefert verzollt ... benannter Bestimmungsort

DDP macht es dem Käufer am einfachsten. Der Verkäufer muss die Ware zur Ausfuhr und auch zur Einfuhr freimachen und am benannten Bestimmungsort auf dem ankommenden Beförderungsmittel unentladen liefern. Der Verkäufer trägt alle Kosten und auch die Gefahr bis zum Eintreffen der Ware an dem benannten Bestimmungsort.

Zwischen diesen Klauseln liegen die anderen Klauseln, mit denen die Pflichten zwischen Verkäufer und Käufer verteilt werden, je nach Einzelfall.


Freitag, 29. Januar 2021

Der Kampf um die Deutungshoheit des BREXIT-Handelsabkommens vom 24. Dezember 2020 hat begonnen - wird die englische Limited auch weiterhin in Europa anerkannt?

 

Zu Heiligabend 2020 haben die Europäische Union und das Vereinigte Königreich doch noch ein Handelsabkommen geschlossen, das die Handelsbeziehungen nach dem Wirksamwerden des BREXIT zum 1. Januar 2021 regelt.

Das Abkommen, das von beiden Seiten noch ratifiziert werden muss, enthält für englische Kapitalgesellschaften (Limited oder plc) mit Niederlassung in der Europäischen Union kein ausdrückliches Anerkenntnis, sondern nur eine insoweit zwiespältige Regelung auf Seite 79:

„Each Party shall accord to investors of the other Party and to covered enterprises treatment no less favourable than that it accords, in like situations, to its own investors and to their enterprises, with respect to their establishment and operation in its territory.“

Vorher heißt es:

“investor of a Party” means a natural or legal person of a Party that seeks to establish, is establishing or has established an enterprise in accordance with point (h) in the territory of the other Party“

“establishment“ means the setting up or the acquisition of a legal person, including through capital participation, or the creation of a branch or representative office in the territory of a Party, with a view to creating or maintaining lasting economic links“

Englische Investoren in Form einer Limited sollen also bei der Gründung einer Zweigniederlassung wie Inländer behandelt werden („Inländerbehandlung“). Aber was heißt das? Dem Prinzip der Inländerbehandlung folgend müssen ausländische und inländische Anbieter grundsätzlich gleichbehandelt werden. Es ist in allen Handelsabkommen der WTO festgeschrieben, für den Warenhandel (Art. III GATT), den Handel mit Dienstleistungen (Art. XVII GATS) und für geistiges Eigentum (Art. III TRIPS). Es betrifft aber grundsätzlich nicht den Bereich des Gesellschaftsstatuts. Vor allem fordert auch das Recht verschiedener Mitgliedstaaten wie Deutschland die Pflicht zur Eintragung einer deutschen Kapitalgesellschaft („Sitztheorie“). Auch eine deutsche GmbH, die mit der Limited aus England vergleichbar ist, muss in Deutschland im Handelsregister eingetragen sein, wenn sie eine Niederlassung begründen will.

Ob die folgende Vorschrift zur Meistbegünstigung

“Each Party shall accord to investors of the other Party and to covered enterprises treatment no less favourable than that it accords, in like situations, to investors of a third country and to their enterprises, with respect to establishment in its territory”

zu einem anderen Ergebnis führt, etwa weil z.B. Deutschland durch den Deutsch-Amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zur Anerkennung US-amerikanischer Limited verpflichtet ist, bleibt abzuwarten.

Da in Deutschland niedergelassene Kapitalgesellschaften, die in einer Rechtsform des Vereinigten Königreichs organisiert und gegebenenfalls auch eingetragen sind, nicht mehr dem Anwendungsbereich der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit unterfallen, wird ihnen wohl die Anerkennung ab dem 1. Januar 2021 versagt werden.

Legt man die vom Bundesgerichtshof zur Sitztheorie ergangene Rechtsprechung (z. B.: II ZR 158/06, zuletzt: IX ZR 92/17) zu dem auf nach Drittstaatenrecht gegründeten Gesellschaften zugrunde, dürften die betreffenden Gesellschaften nunmehr als eine der in Deutschland zur Verfügung stehenden Auffangrechtsformen behandelt werden, das heißt als (kaufmännische) offene Handelsgesellschaft (OHG) oder als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Bei Ein-Personen-Limiteds dürfte das Vermögen ihrem vormaligen Alleingesellschafter zuzurechnen sein. Rechtliche Konsequenz wäre die persönliche Haftung der Gesellschafter oder des Inhabers für Verbindlichkeiten der Gesellschaft.

Für grenzüberschreitende Verschmelzungsvorgänge, die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2020 begonnen wurden, enthält das Umwandlungsgesetz (UmwG) eine Übergangsvorschrift. Es reicht aus, wenn der Verschmelzungsplan rechtzeitig notariell beurkundet wurde. Der Vollzug durch das Handelsregister müsste nun unverzüglich, spätestens aber bis zum 31. Dezember 2022 erfolgen. Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz weist darauf hin, dass für den Vollzug eines solchen Umwandlungsvorganges auch staatliche Stellen des Vereinigten Königreichs, insbesondere das britische Companies House, zuständig sind. Deren Mitwirkung ist insbesondere für die Erteilung der sogenannten „Vorabbescheinigung“ erforderlich, was nach Kenntnis der Bundesregierung Schwierigkeiten aufwirft.

Mittwoch, 15. Juli 2020

Was tun, wenn sich ausländisches Recht im Eilverfahren nicht abschließend ermitteln lässt?

Das Oberlandesgericht Frankfurt (30. Januar 2020 6 W 9/20) zeigt eine praxisgerechte Lösung. Jede Ermittlung gemäß § 293 ZPO wie ein Vollbeweis käme im Regelfall zu spät. Die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) ist auch hier das Mittel der Wahl.

„Ist im Eilverfahren der Inhalt des anzuwendenden Rechts aufgrund der Eilbedürftigkeit nicht zuverlässig zu ermitteln, ist weder nach deutschem Recht zu entscheiden noch der Antrag unter Darlegungslastgesichtspunkten zurückzuweisen. Vielmehr ist nach einer lediglich summarischen Schlüssigkeitsprüfung im Rahmen einer Abwägung der Interessen der Parteien zu entscheiden.“

Die Parteien streiten im Eilverfahren um einen wettbewerblichen Unterlassungsanspruch. Die Parteien schlossen einen Franchise-Vertrag hinsichtlich des sog. „MBST“-Therapiesystems für das Gebiet Italien. Mit Kündigungsschreiben vom 02.11.2018 erklärte die Antragstellerin die fristlose Kündigung, hilfsweise die Kündigung zum 31.01.2019. Die Antragsgegnerin betreibt die Webseite „x.it“, auf der sowohl in englischer als auch in italienischer Sprache unter der Bezeichnung „Y“ u.a. unter Benutzung verschiedener Lichtbilder der Antragstellerin, bei der die Markenbezeichnungen entfernt wurden, eine Magnetresonanztherapie beworben wird, die technisch der der Antragstellerin gleicht, ohne dass die Antragstellerin jedoch erwähnt wird. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegnerin die Beschreibung der Therapie und die Verwendung der Fotos ohne konkreten Hinweis auf die Antragstellerin untersagt werden sollte, mit Beschluss vom 27.12.2019 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot sei vor Eingang des Eilantrages abgelaufen. Lauterkeitsrechtliche Ansprüche scheiterten daran, dass nach Art. 6 I Rom II-VO italienisches Recht anwendbar sei. Der hiergegen eingelegten Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Ein Verstoß gegen italienische Wettbewerbsvorschriften sei nicht hirneichend glaubhaft gemacht. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Verfügungsantrag zu Recht zurückgewiesen, da die Antragstellerin weder auf vertraglicher Grundlage noch auf lauterkeitsrechtlicher Grundlage den begehrten Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin geltend machen kann.

Im Hinblick auf die hilfsweise geltend gemachten lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsansprüche hat das Landgericht zu Recht die Anwendung deutschen Rechts verneint; hinsichtlich des italienischen Rechts vermag der Senat im Eilverfahren keine hinreichend sicheren Feststellungen zu treffen. Das anwendbare Recht bei lauterkeitsrechtlichem Verhalten bestimmt sich grundsätzlich nach Art. 6 I Rom II-VO. Danach ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten das Recht des Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind. Im Hinblick auf den marktschützenden Charakter der Kollisionsregel beschränkt sich die spezielle Anknüpfung in Art. 6 I auf marktbezogene Verstöße, d.h. Verstöße, die nicht ausschließlich die Interessen eines bestimmten Mitbewerbers berühren. Beeinträchtigt ein unlauteres Verhalten hingegen ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers, gilt nach Art. 6 II die allgemeine deliktskollisionsrechtliche Regelung des Art. 4, die an den Ort des Schadenseintritts anknüpft. Unlauteres Wettbewerbsverhalten, das ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers beeinträchtigt, ist nicht denkbar, denn auch bilaterale Wettbewerbshandlungen wirken sich im Ergebnis auf den Markt und damit das Allgemeininteresse aus. Daher ist die Einschränkung des Art. 6 II nicht wortlautgetreu zu verstehen: Sie erfasst nur gezielt gegen einzelne Mitbewerber gerichtete Verstöße (BeckOGK/Poelzig/Windorfer, 1.12.2018, Rom II-VO Art. 6 Rn. 94-96). Diesen von Art. 6 Abs. 2 erfassten unternehmensbezogenen Eingriffen fehlt die unmittelbar marktvermittelte Einwirkung auf die geschäftlichen Entscheidungen der Marktgegenseite, die eine Sonderanknüpfung ausschließt. Ist allerdings ein unternehmensbezogener Eingriff mit marktvermittelten Einwirkungen auf die geschäftlichen Entscheidungen der ausländischen Marktgegenseite verbunden, so bleibt Art. 6 I Rom II-VO anwendbar (BGH GRUR 2010, 847 Rn. 19 - Ausschreibung in Bulgarien; BGH WRP 2014, 548 Rnr. 37, 38 - englischsprachige Pressemitteilung; BGH WRP 2017, 434 Rnr. 43 - World of Warcraft II; BGH WRP 2018, 1081 Rnr. 23 - goFit; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl., Einleitung, Rnr. 5.31 ff). Dazu gehört u.a. auch die Behinderung eines Mitbewerbers bei seinen Kunden oder das Angebot von Produktnachahmungen unter Täuschung über die betriebliche Herkunft (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl., Einleitung, Rnr. 5.32). In diesen Fällen wird auf die Verbraucher unlauter eingewirkt, insbesondere deren Fähigkeit zu einer informierten Entscheidung oder deren Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird. c) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Landgericht zu Recht von der Anwendbarkeit italienischen Rechts ausgegangen. (1) Mit dem Landgericht geht der Senat zunächst davon aus, dass Marktort im Sinne von Art. 6 I Rom II - VO Italien ist. Die Webseite www.x.it richtet sich ganz offensichtlich an den italienischen Markt. Dies wird nicht nur durch die First-Level-Domain „.it“ (Italien) deutlich, sondern auch durch die Tatsache, dass der die Domain bildende Begriff „x“ der italienischen Sprache entstammt und übersetzt „Schau in mich“ bedeutet. Hinzu kommt der in italienischer Sprache gehaltene Inhalt.  … d) Der Senat sieht sich nicht in der Lage, auf den vorliegenden Fall italienisches Wettbewerbsrecht anzuwenden. Die Antragstellerin hat zwar in der Beschwerde § 2598 und 2599 des italienischen Zivilgesetzbuches vorgelegt, ohne jedoch zu Systematik und Auslegung vorzutragen. Einziger Ansatzpunkt ist die Generalklausel in § 2598 III des italienischen Zivilgesetzbuches, die aufgrund ihrer Unbestimmtheit und Weite ohne Kenntnis der hierzu ergangenen Rechtsprechung für den Senat keine Grundlage für eine Entscheidung sein kann. Hinzu kommt, dass es sich bei § 4 Nr. 4 UWG um nicht harmonisiertes Recht handelt, so dass nicht gewährleistet ist, dass eine entsprechende Rechtsanwendung - und sei es nur den Grundzügen nach - auch in Italien erfolgt. Über weitergehende Erkenntnisquellen verfügt der Senat nicht. Der Senat wäre daher gehalten, insoweit im Rahmen von § 293 ZPO Beweis zu erheben. Für das Eilverfahren ist eine solche Beweiserhebung jedoch grundsätzlich ungeeignet, da die damit einhergehende Verzögerung mit dem Charakter des Eilverfahrens unvereinbar ist (Sommerlad, NJW 1991, 1377) e) Die Frage, wie einer derartigen Sondersituation im Eilverfahren umzugehen ist, ist umstritten. (1) Teilweise wird die Ansicht vertreten, in allen Fällen, in denen das ausländische Recht nicht sofort ermittelt werden kann, auf dem Weg der lex fori generell auf das deutsche Recht zurückzugreifen (MüKoBGB/Sonnenberger Einl. zum IPR Rnr. 449; MüKoUWG-Mankowski, Teil II.5, Rnr. 131; BeckOK-Bacher, ZPO, 35. Edition, § 293, Rnr. 24). Diese Lösung ist problematisch, weil sie die kollisionsrechtlichen Regelungen ohne rechtliche Grundlage außer Kraft setzt und somit zur Anwendung eines eigentlich nicht anwendbaren Rechts führt. Zudem hat der Gesetzgeber - in Kenntnis entsprechender gesetzlicher Regelungen in der Schweiz und Österreich von der Einführung einer vergleichbaren Regelung in Deutschland abgesehen. De lege ferenda ist nicht zu bezweifeln, dass eine Norm, wie sie das österreichische und das schweizerische Recht kennen, eine praktikable Lösung wäre. Sie bedürfte freilich auch im deutschen Recht einer eindeutigen Normierung, an der es fehlt (MüKo-Prütting, ZPO, 5. Aufl., § 293, Rnr. 66). (2) Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass in derartigen Fällen die Antragstellerin als „beweisfällig“ anzusehen ist (Nagel/Gottwald, S. 376; Schütze, S. 186; Geimer, Rnr. 2593), was der Senat indes ablehnt. Für den Inhalt ausländischen Rechts gibt es keine Beweislast im eigentlichen Sinn (Zöller-Geimer, § 293 Rnr. 16; Küppers, NJW 1976, 489; Sommerlad, NJW 1991, 1377). Diejenige Partei, die sich auf das Bestehen eines ausländischen Rechtssatzes beruft, muss die Existenz und den Inhalt eines bestimmten ausländischen Rechtssatzes im Bestreitensfall nicht beweisen und trägt daher grundsätzlich auch nicht das Risiko, im Falle der Nichtbeweisbarkeit mit dem Anspruch abgewiesen zu werden. Vielmehr sollte die Rechtspflicht des Gerichts, das ausländische Recht zu ermitteln, durch ein Misslingen der von der Partei angebotenen Nachweise unberührt bleiben. - Seite 8 von 8 - (3) Eine dritte Auffassung (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 293, Rnr. 57; Schack IPRax 1995, 158, 161; OLG Hamburg, IPrax 1990, 400 ff.), der der Senat folgt, sucht die Lösung des Problems darin, dass die Rechtsprüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in Form einer summarischen Schlüssigkeitsprüfung durchgeführt wird, die die wahre materielle Rechtslage weitgehend offenlässt. Da in einem solchen Fall die Richtigkeitsgewähr der Entscheidung erheblich reduziert ist, soll eine Abwägung der Interessen von Antragsteller und Antragsgegner hinzutreten. Unter Zugrundelegung der oben dargestellten Probleme des Senats bei einer auch nur summarischen Prüfung der Rechtslage sind daher die Interessen von Antragstellerin und Antragsgegnerin hier abzuwägen. Hierbei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin die Antragsgegnerin selbst im Hinblick auf die weitere Nutzung des Zeichens „MBST“ abgemahnt hatte. Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragsgegnerin die MBST-Therapie weiter unter Nennung der Marke und Therapieform der Antragstellerin unter mbst.terapia.it bewirbt, obwohl sie hierzu nach Ende des Vertrages nicht mehr verpflichtet wäre; dies relativiert den Vorwurf der Behinderung des Markteintritts in Italien für die Antragstellerin. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kern des Angriffs der Antragstellerin dagegen richtet, dass die Antragsgegnerin die Technik der Magnetresonanztherapie bewerben, ohne darauf aufmerksam zu machen, dass die Antragstellerin die Technologie „erfunden habe“. 

Mittwoch, 15. Januar 2020

Kein Anspruch auf Zugang unabhängiger Marktteilnehmer zu Reparatur- und Wartungsinformationen der Autohersteller in elektronisch weiterzuverarbeitender Form („Gesamtverband Autoteile-Handel“)

EuGH, Urt. v. 19.09.2019 – Rs C-527/18 (BGH)

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 über (…) den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge ist dahin auszulegen, dass er Automobilhersteller nicht verpflichtet, unabhängigen Marktteilnehmern Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge in elektronisch weiterzuverarbeitender Form zu gewähren.

Der Gerichtshof verneint eine Pflicht des Kfz-Herstellers zur Ermöglichung des Zugangs für unabhängige Marktteilnehmer zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Kraftfahrzeuge in elektronisch weiterzuverarbeitender Form; ein bloßer Lesezugriff reiche aus.
Der Gesamtverband Autoteile-Handel und unabhängige Marktteilnehmer, die ihm als Mitglieder angehören, verfügen hinsichtlich der von dem Automobilhersteller KIA vertriebenen Fahrzeuge über einen bloßen Lesezugriff auf eine Datenbank, in der die Reparatur- und Wartungsinformationen für diese Fahrzeuge gespeichert sind. Der Gesamtverband verlangte von KIA, dass er selbst und seine Mitglieder über die Informationen der Datenbank auch in elektronisch weiterzuverarbeitender Form verfügen können.
Aus dem geforderten OASIS-Format (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 715/2007) gehe nicht hervor, dass es den Herstellern vorgeschrieben sei, Zugang zu den Informationen in elektronisch weiterzuverarbeitender Form zu gewähren, da sowohl ein bloßer Lesezugriff als auch eine elektronisch weiterzuverarbeitende Form ermöglichten, die gewünschten technischen Informationen aufzufinden und den Austausch zu erleichtern. Da die in Streit stehende Bestimmung zwischen dem zu gewährenden Zugang, der „uneingeschränkt“ sein müsse, und dem Format, in dem er zu gewähren sei, unterscheide, beziehe sich die Nichtbeschränkung auf den Inhalt der Informationen, die den unabhängigen Marktteilnehmern bereitgestellt werden müssten, und nicht auf die Modalitäten der Bereitstellung.
Der Gerichtshof begründet seine enge Auslegung mit dem Hinweis darauf, dass auch die EU-Kommission selbst lediglich von einem bloßen Lesezugriff ausgegangen sei und auch im späteren Gesetzgebungsverfahren die Möglichkeit der Weiterverarbeitung der bereitgestellten Daten fallengelassen worden war. Zukünftige Regelungen (VO (EU) Nr. 2018/858) könnten dieses Ergebnis nicht beeinflussen.
Das Urteil überrascht. Der Europäische Gerichtshof hängt sehr am Wortlaut, ohne Zusammenhang, Ziel oder praktische Wirksamkeit („effet utile“) einer Vorschrift umfassend zu würdigen.
Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und deshalb verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt durch ein Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Hierzu können gemäß Art. 103 Verordnungen wie die hier in Streit stehende Verordnung (EG) Nr. 715/2007 beschlossen werden.
Der europäische Gesetzgeber duldet keine Beschränkungen des Ersatzteilemarkts, wie exemplarisch Art. 4 e der Vertikalverordnung (Nr. 330/2010) zeigt. Danach macht die zwischen einem Anbieter von Teilen und einem Abnehmer, der diese Teile weiterverwendet, vereinbarte Beschränkung der Möglichkeit des Anbieters, die Teile als Ersatzteile an Endverbraucher oder an Reparaturbetriebe oder andere Dienstleister zu verkaufen, die der Abnehmer nicht mit der Reparatur oder Wartung seiner Waren betraut hat, als Kernbeschränkung die Vereinbarung insgesamt unwirksam.
Streitgegenständlicher Art. 6 Abs. 1 Satz 1 fordert deshalb von den Herstellern einen Zugang in „… leicht und unverzüglich zugängliche(r) Weise und so, dass gegenüber dem Zugang der autorisierten Händler und Reparaturbetriebe oder der Informationsbereitstellung für diese keine Diskriminierung stattfindet.“
Die enge Auslegung des Gerichtshofs springt zu kurz. Nach seiner eigenen Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift jedoch nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C 414/16, EU:C:2018:257, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung) In einer digitalisierten Welt ist der bloße Lesezugriff eine Marktbeschränkung. Jedenfalls muss ein betroffener, unabhängiger Marktteilnehmer erhöhten Aufwand z.B. in Form einer besonderen Software betreiben, um ausgelesene Daten zu verarbeiten. Schon dieser erhöhte Aufwand behindert den Wettbewerb. Der erhöhte Aufwand des unabhängigen Marktteilnehmers schlägt sich nicht zuletzt in höheren Preisen für Ersatzteile und Reparaturen nieder. Die Versorgung des Endabnehmers und damit der Binnenmarkt sind beeinträchtigt.
Letztendlich wird die Entscheidung des Gerichtshofs durch die neue Verordnung (EG) Nr. 2018/858 überholt, die zum 1. September 2020 in Kraft tritt. Art. 61 Abs. 1 verpflichtet die Hersteller, unabhängigen Wirtschaftsakteuren, den Zugang zu den Ferndiagnosediensten, die von Herstellern sowie Vertragshändlern und -werkstätten genutzt werden, zu gewähren. Die Angaben sind leicht zugänglich in Form von maschinenlesbaren und elektronisch verarbeitbaren Datensätzen darzubieten. Unabhängige Marktteilnehmer erhalten Zugang zu den Ferndiagnosediensten, die von Herstellern sowie Vertragshändlern und -werkstätten genutzt werden. Das ist sicherlich mehr als der bloße Lesezugriff.

Freitag, 19. Juli 2019

In Deutschland wirksam begründetes Sicherungseigentum bleibt in Österreich erhalten – Oberster Gerichtshof vom 23. Januar 2019, 3 Ob 249/18s

Bereits eine sich am Wortlaut und Normzweck orientierende Auslegung der §§ 7, 31 österr. IPRG kann den Untergang eines in Deutschland wirksam begründeten Eigentums durch den Import der Sache nach Österreich nicht begründen.
Der deutsche Kläger gewährte seinem Sohn, dem Betreiber eines Lokals in Vorarlberg, ein Darlehen und ließ sich sicherungshalber das Eigentum an der Registrierkasse des Lokals und an einem PKW einräumen. Im Zuge der von den Beklagten gegen den Sohn eingeleiteten Zwangsvollstreckung wurden diese beiden Gegenstände in Österreich gepfändet.
Dagegen richtet sich die Exszindierungsklage des Klägers mit dem wesentlichen Vorbringen, dass er an den beiden Gegenständen in Deutschland nach den anzuwendenden deutschen gesetzlichen Bestimmungen wirksam Sicherungseigentum erworben habe. Der Umstand, dass die Gegenstände von einem EU-Staat (Deutschland) in einen anderen EU-Staat (Österreich) verbracht wurden, ändere nichts an den rechtswirksam zu Stande gekommenen Eigentumsverhältnissen.
Die Beklagten wandten ein, dass durch eine in Deutschland (nur) mit einem Besitzkonstitut vereinbarte Sicherungsübereignung in Österreich nicht wirksam Sicherungseigentum begründet werden könne bzw. diese Form der Sicherungsübereignung in Österreich nicht anerkannt werde.
Die Vorinstanzen gingen von einer (in Deutschland) wirksamen Eigentumsbegründung durch Besitzkonstitut aus und wiesen die Klage unter Hinweis auf die Entscheidung 3 Ob 126/83 ab. Demnach besteht ein im Ausland wirksam erworbenes Sicherungseigentum an beweglichen Sachen nach deren Verbringung nach Österreich nicht mehr, wenn die zu seinem Weiterbestehen im Inland geforderten Publizitätserfordernisse fehlen.
Der Oberste Gerichtshof gab der dagegen erhobenen Revision des Klägers im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags statt und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
Der Senat erachtete die im Schrifttum gegen die Unionsrechtskonformität eines Ergebnisses im Sinne der Entscheidung 3 Ob 126/83 geäußerten Bedenken für beachtlich. Die dadurch indizierte Einschränkung der Kapitalmarkt- und Warenfreiheit lässt sich prima vista schwer rechtfertigen. Die Frage der Unionsrechtskonformität musste jedoch nicht abschließend geklärt werden.
Bereits eine sich am Wortlaut und Normzweck orientierende Auslegung der §§ 7, 31 österr. IPRG kann den Untergang eines in Deutschland wirksam begründeten Eigentums (bloß) durch den Import der Sache nach Österreich nicht begründen, sodass eine Verletzung des Unionsrechts in diesem Zusammenhang ausgeschlossen ist. Der Erwerb dinglicher Rechte an körperlichen Sachen ist gemäß § 31 Abs. 1 österr. IPRG nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem sich die Sachen bei Vollendung des dem Erwerb oder Verlust zugrundeliegenden Sachverhalts befinden. Das IPRG geht bei der Sicherungsübereignung von der Anwendbarkeit der lex rei sitae aus. Bei der Auslegung von § 31 Abs. 1 österr. IPRG ist darauf abzustellen, ob bereits Vollendung gegeben ist, also ein abgeschlossener Tatbestand vorliegt. Mit einer wirksamen Begründung des Sicherungseigentums im Ausland ist der der dinglichen Rechtsgestaltung zugrundeliegende Tatbestand bereits vollendet. Ein Erlöschen eines in Deutschland mit Besitzkonstitut wirksam zur Sicherung übertragenen Eigentums durch Transport kann daher nicht auf § 31 Abs. 1 österr. IPRG gestützt werden, weil die nachträgliche Änderung der für die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung maßgebenden Voraussetzungen auf bereits vollendete Tatbestände keinen Einfluss hat.
Nach den getroffenen Feststellungen kann allerdings nicht – wie von den Vorinstanzen angenommen – gesichert davon ausgegangen werden, dass das Eigentum in Deutschland tatsächlich wirksam begründet wurde. Die bisherigen Feststellungen decken zwar eine entsprechende Vereinbarung samt Besitzkonstitut. Es bleibt aber offen, ob sich die Gegenstände im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses überhaupt in Deutschland befanden. Für die Frage eines wirksamen Eigentumserwerbs nach deutschen Recht kommt es i.V.m. § 31 österr. IPRG aber entscheidend darauf an, ob die Sicherungsübereignung durch Besitzkonstitut zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, als der PKW bzw. die (dem 340 km vom Vertragsort entfernten Lokal des Sohnes in Österreich zugeordnete) Registrierkasse tatsächlich in Deutschland waren. Dafür ist der Kläger beweispflichtig.
Das Erstgericht wird das Beweisverfahren im aufgezeigten Sinn zu ergänzen und anschließend neuerlich zu entscheiden haben.