Samstag, 13. Januar 2018

Die englische Limited nach dem Brexit

Ein geregelter Brexit wird immer unwahrscheinlicher. Selbst der Bar Council, also die Vereinigung der Barrister des Vereinigten Königreichs, hat seine Reihe der Brexit Papers, die ansonsten sehr viele rechtliche Aspekte de betreffen, um den Bereich Gesellschaftsrechts nicht erweitern können.

Eine englische Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland wird mit dem Brexit am 29. März 2019 höchstwahrscheinlich nicht mehr als solche anerkannt werden soll, sondern im Zweifel als offene Handelsgesellschaft, sprich Personengesellschaft behandelt werden. Eine persönliche Haftung der Gesellschafter liegt dann vor. Noch gilt nach dem Bundesgerichtshof in Deutschland die sogenannte Sitztheorie, wonach ausländische Gesellschaften die Vorschriften der Gesellschaftsgründung im Inland beachten müssen, sofern sie hier ihren effektiven Verwaltungssitz haben.

Was können die Gesellschafter einer englischen Limited in Deutschland tun, um die persönliche Haftung auch weiterhin auszuschließen?

1. Formwechsel

Grundsätzlich ist ein Formwechsel nach der Rechtsprechung des EuGH (12.07.2012 - C-378/10-„VALE“) in eine deutsche Gesellschaft, auch eine am ehesten vergleichbare Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) möglich. Wegen der fehlenden Normierung ergeben sich aber wegen der Kürze der Zeit praktische Probleme: Muss der Rechtsweg bestritten werden, ist eine positive Gerichtsentscheidung kaum vor dem Wechsel zu erwarten.

2. Verschmelzung

Dieser Weg scheint am einfachsten umsetzbar: Die englische Limited könnte auch mit einer deutschen Gesellschaft verschmolzen werden. Gesetzlich geregelt ist die Verschmelzung für Deutschland in §§ 122a ff. UmwG; entsprechendes gilt aufgrund europäischer Richtlinie im Vereinigten Königreich. Auch hier ist Eile geboten.

3. Wegzug

Als Alarmmaßnahme kommt noch die Verlegung des Verwaltungssitzes ins Vereinigte Königreich in Betracht. Insoweit kommt es „nur“ auf die tatsächliche Sitzverlegung an. Wer zögert, kann so noch sehr kurzfristig die Haftungsbeschränkung der Limited erhalten.

Selbstredend kann die Gesellschaft auch aufgelöst und in anderer Form neu gegründet werden. Ebenso ist die Veräußerung des Vermögens an eine dritte Gesellschaft möglich.

Freitag, 8. Dezember 2017

Das neue Transparenzregister

Mit Wirkung zum 1. Oktober 2017 müssen juristische Person des Privatrechts, eingetragene Personengesellschaften oder vergleichbare Rechtsgestaltungen Angaben über Ihre wirtschaftlich Berechtigten zum dafür neu geschaffenen Transparenzregister melden (Gesetz vom 23. Juni 2017 Bundesgesetzblatt I 2017,1822). Das Geldwäschegesetz wurde neu gefasst und in §§ 18-26 das Transparenzregister geschaffen. Ein Verstoß hiergegen kann mit Geldbußen von bis zu 100.000 € regelmäßig geahndet werden.

Wirtschaftlich Berechtigter ist, wer mehr als 25 % der Kapitalanteile hält oder Stimmrechte kontrolliert oder auf vergleichbare Weise Kontrolle ausübt.

Diese Pflicht zur Meldung trifft auch ausländische Gesellschaften, sogar Trusts, für die der Trustee als rechtlicher Eigentümer verpflichtet ist. Das zuständige Vertretungsorgan der ausländischen Gesellschaft ist zu ermitteln. Was den Trust betrifft, so sind seine verschiedenen Ausprägungen in den einzelnen Jurisdiktionen des Common Law sowie die verschiedenen Arten von Trusts auf international-privatrechtlicher Ebene zu beachten.

Die Offenlegungspflicht berührt gesellschaftsrechtlich vor allem Stimmbindungsvereinbarungen und andere Treuhandverhältnisse, die Regelbeispiele für die Kontrolle auf vergleichbare Weise darstellen. Die nahezu uneingeschränkte Vertraulichkeit solcher Vereinbarungen scheint damit nicht mehr zu gelten. Bis jetzt war es möglich, mit Gesellschaftervereinbarungen neben der eigentlichen Satzung den wirtschaftlich Berechtigten nicht öffentlich zu machen. Nur die Satzung selbst z.B. einer GmbH oder Aktiengesellschaft muss zum Handelsregister eingereicht werden.

Außerdem stellt sich die Frage, wer ein Einsichtsrechts hat. Das Gesetz spricht lapidar von „berechtigtem Interesse“ (§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GwG). Inwieweit dieses Interesse mit dem Zweck des Geldwäschegesetzes, hier also die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zusammenhängen muss, ist bis jetzt offen.


Weiterhin spannend für jedes Unternehmen ist die Frage, ob ein Verstoß gegen die Offenlegungspflicht wettbewerbsrechtlich, hier also als Vorsprung durch Rechtsbruch gemäß § 3a UWG durch Wettbewerber verfolgt werden kann. Danach handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Sollen die Angaben über den wirtschaftlich Berechtigten im Transparenzregister also nicht nur der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung dienen, sondern auch das Marktverhalten regeln? Jedenfalls ist eine solche Entwicklung nicht auszuschließen, sei es durch die Rechtsprechung, sei es durch Ergänzung des Geldwäschegesetzes. Jeder in diesem Bereich tätige Anwalt sollte also schon jetzt Gesellschaftervereinbarungen, die nicht zum Handelsregister eingereicht werden müssen, daraufhin prüfen, ob die Offenlegung im Transparenzregister vertretbar ist. Es droht in jedem Fall das Risiko der Einsichtnahme durch Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden, unter Umständen auch durch Wettbewerber.

Freitag, 3. November 2017

Mitgliedstaaten können Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen wollen, nicht zur Liquidation verpflichten

Europäischer Gerichtshof, C-106/16-Polbud – Wykonawstwo sp.z o. o.

Aus Luxemburg erhalten wir wieder ein bisschen mehr Gewissheit über grenzüberschreitende Gesellschaftsaktivitäten. Die Rechtsprechung nach dem Urteil C-378/10 VALE, welche grenzüberschreitende Umwandlung unter den Schutz der Niederlassungsfreiheit stellte, wird fortgesetzt. Nicht nur die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes, sondern auch die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes muss zwischen den Mitgliedstaaten möglich sein. Anders als im Urteil C-210/06 CARTESIO geht es nicht um die Beibehaltung der Gesellschaftsform eines Mitgliedstaats bei Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaats. Damals konnte Ungarn verhindern, dass eine in Ungarn eingetragene ungarische Gesellschaft außerhalb Ungarns ihren Verwaltungssitz nimmt („Inländerdiskriminierung“). Dagegen ermöglichte die Niederlassungsfreiheit schon damals einer Gesellschaft die Verlegung in einen anderen Mitgliedstaat, indem sie sich in eine Gesellschaftsform des Rechts dieses Staates umwandelt, ohne dass sie im Zuge der Umwandlung aufgelöst und abgewickelt werden muss, wenn das Recht des Aufnahmemitgliedstaats dies gestattet. Gleiches gilt hier: Die polnische Gesellschaft kann ihren satzungsmäßigen Sitz in Luxemburg nur entnehmen, wenn sie sich unter Beachtung der dafür einschlägigen Normen in eine luxemburgische Gesellschaft umwandelt.

Polbud ist eine Gesellschaft mit Sitz in Polen. Mit einem Beschluss von 2011 entschied ihre außerordentliche Hauptversammlung, den Gesellschaftssitz nach Luxemburg zu verlegen. Dieser Beschluss enthält keinen Hinweis darauf, dass der Verwaltungssitz von Polbud oder der Ort der tatsächlichen Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ebenfalls nach Luxemburg verlegt worden wäre.

Auf der Grundlage dieses Beschlusses wurde die Eröffnung des Liquidationsverfahrens ins polnische Handelsregister eingetragen und der Liquidator wurde bestellt.

Im Jahr 2013 wurde der satzungsmäßige Sitz von Polbud nach Luxemburg verlegt. Polbud wurde zu „Consoil Geotechnik Sàrl“, einer Gesellschaft luxemburgischen Rechts. Außerdem beantragte Polbud beim polnischen Registergericht die Löschung im polnischen Handelsregister. Dieser Löschungsantrag wurde vom Registergericht abgelehnt.

Gegen diesen Beschluss erhob Polbud Klage. Der im Rechtsmittelverfahren mit der Sache befasste Polnische Oberste Gerichtshof möchte vom Gerichtshof zunächst wissen, ob die Niederlassungsfreiheit für die Verlegung lediglich des satzungsmäßigen Sitzes einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat gilt, wenn die Gesellschaft ohne Verlegung ihres tatsächlichen Sitzes in eine dem Recht dieses anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft umgewandelt wird. Weiter fragt der Oberste Gerichtshof, ob die Regelung Polens, die die Löschung im Handelsregister davon abhängig macht, dass die Gesellschaft am Ende eines Liquidationsverfahrens aufgelöst wird, mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist.

Der europäische Gerichtshof bejaht erwartungsgemäß die Geltung der Niederlassungsfreiheit und verneint die Pflicht zur Liquidation.

Für den vorliegenden Fall gilt demnach, dass Polbud durch die Niederlassungsfreiheit den Anspruch auf Umwandlung in eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts erhält, soweit sie die nach luxemburgischem Recht für die Gründung einer Gesellschaft geltenden Voraussetzungen und insbesondere das Kriterium erfüllt, das in Luxemburg für die Verbundenheit einer Gesellschaft mit seiner nationalen Rechtsordnung erforderlich ist.

Außerdem fällt nach Auffassung des Gerichtshofs ein Sachverhalt, bei dem eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft eine Umwandlung in eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft unter Beachtung des Kriteriums vornehmen will, das in diesem anderen Mitgliedstaat für die Verbundenheit einer Gesellschaft mit seiner nationalen Rechtsordnung erfüllt werden muss, unter die Niederlassungsfreiheit, selbst wenn diese Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit im Wesentlichen oder ausschließlich im ersten Mitgliedstaat ausüben soll. Dass eine Gesellschaft ihren – satzungsmäßigen oder tatsächlichen – Sitz nach dem Recht eines Mitgliedstaats begründet, um in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften zu kommen, stellt für sich allein keinen Missbrauch dar.

Zweitens bemerkt der Gerichtshof, dass eine polnische Gesellschaft wie Polbud zwar grundsätzlich befugt ist, ihren satzungsmäßigen Sitz ohne Verlust ihrer Rechtspersönlichkeit von Polen in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, dass sie aber nach polnischem Recht nur dann im polnischen Handelsregister gelöscht werden kann, wenn zuvor ein Liquidationsverfahren durchgeführt wurde. Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach polnischem Recht von der Liquidation die Beendigung der laufenden Geschäfte und die Beitreibung der Forderungen der Gesellschaft, die Erfüllung der Verbindlichkeiten und die Verflüssigung des Gesellschaftsvermögens, die Befriedigung oder Absicherung der Gläubiger, die Erstellung eines Finanzberichts über die Vornahme dieser Handlungen und die Benennung des Verwahrers der Bücher und Unterlagen der Gesellschaft, die abgewickelt wird, umfasst sind. Die polnische Regelung ist, da sie die Liquidation der Gesellschaft verlangt, geeignet, die grenzüberschreitende Umwandlung einer Gesellschaft zu erschweren oder gar zu verhindern. Folglich stellt diese Regelung eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar.

Eine solche Beschränkung kann grundsätzlich durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses, etwa den Schutz der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter und der Arbeitnehmer gerechtfertigt sein. Die polnische Regelung sieht jedoch eine allgemeine Verpflichtung zur Liquidation vor, ohne dabei zu berücksichtigen, ob tatsächlich eine Gefahr für diese Interessen besteht, und ohne eine Möglichkeit vorzusehen, weniger einschneidende Maßnahmen zu wählen, durch die diese Interessen ebenso geschützt werden können. Folglich geht eine solche Verpflichtung über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels, die genannten Interessen zu schützen, erforderlich ist.

Mittwoch, 14. Dezember 2016

Bundesgerichtshof: Keine Erstreckung der Abnahme durch AGB des Bauträgers in Erwerbsvertrag auf Nachzügler-Erwerber

Ansprüche der Erwerber wegen Mängeln an neu errichteten Häusern oder Eigentumswohnungen richten sich bei nach dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes geschlossenen Bauträgerverträgen weiterhin grundsätzlich nach Werkvertragsrecht, mag auch das Bauwerk bei Vertragsschluss bereits fertiggestellt sein.


Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft macht gegen die beklagte Bauträgerin Mängelansprüche, insbesondere auf Zahlung eines Vorschusses für Aufwendungen zur Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum geltend. Alle Erwerber vor dem 25. 11. 2002 hatten einen von der Beklagten vorformulierten Vertrag mit folgender Klausel geschlossen: „Die Abnahme des Gemeinschaftseigentums ist noch nicht erfolgt. Gemäß … Teilungserklärung haben die Wohnungseigentümer in der 1. Eigentümerversammlung … mit der Abnahme beauftragt. Die Abnahme wird auf Kosten der Verkäuferin in Vertretung der einzelnen Wohnungseigentümer für diese durchgeführt. ...“ Mit Erwerbern nach dem 25. 11. 2002 wurde die Klausel gem. Leitsatz 3 vereinbart. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Die Vorinstanzen hatten der Klage teilweise stattgegeben.
2.1 Die Revision ist erfolglos geblieben. Der Vorschussanspruch ergibt sich nach dem BGH aus § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1, 3 BGB. Es sei anerkannt, dass sich die Mängelrechte beim Bauträgervertrag nach Werkvertragsrecht richten. Dies habe sich auch mit der Schuldrechtsreform in 2002 nicht geändert. An der werkvertraglichen Qualifizierung der Mängelansprüche des Erwerbers wegen Mängeln an neu errichteten Häusern oder Eigentumswohnungen sei festzuhalten, möge auch das Bauwerk bei Vertragsschluss bereits fertiggestellt sein (vgl. BGH NJW 1981, 2344).
Allerdings sei mit der Schuldrechtsreform die rechtliche Stellung des Käufers bei Bauwerken in mancher Hinsicht derjenigen des Bestellers bei einem Bauvertrag angenähert worden, so bei der Verjährung (§ 437 Nr. 1, 3, § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB) oder durch den Nacherfüllungsanspruch des Käufers (§ 439 Abs. 1 BGB). Trotzdem sei es weiterhin sach- und interessengerecht, dass sich die Ansprüche der Erwerber wegen Mängeln an neu errichteten Häusern und Eigentumswohnungen bei Bauträgerverträgen grundsätzlich nach Werkvertragsrecht richten. So bestehe für den Käufer nicht die Möglichkeit, einen Vorschuss zur Selbstbeseitigung des Mangels zu verlangen. Zudem passe das Recht des Käufers, zwischen Nacherfüllung und Lieferung einer mangelfreien Sache wählen zu können, bei Bauwerken nicht; es könne zu Konflikten mit dem Recht des für den Bauwerksmangel u. U. verantwortlichen Unternehmers führen, die Art und Weise der Mängelbeseitigung bestimmen zu dürfen. Hinzu komme, dass dem Verkäufer das Verschulden von Dritten bezüglich der Verursachung von Bauwerksmängeln im Zuge der Errichtung des Bauwerks nur in geringerem Umfang zugerechnet werden kann als dem Bauunternehmer.
2.2 Die Klausel in Leitsatz 2 sei gem. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Sie sei bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung so zu verstehen, dass den Nachzügler-Erwerbern die Möglichkeit entzogen wird, das Gemeinschaftseigentum selbst abzunehmen. So würde vom wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in § 640 Abs. 1 BGB abgewichen. Danach sei der Besteller berechtigt, über die Vertragsmäßigkeit des hergestellten Werks durch Abnahme auch des Gemeinschaftseigentums, u. U. nach sachverständiger Beratung, zu entscheiden. Die Klausel sei außerdem gem. § 309 Nr. 8 lit. b ff BGB unwirksam, weil sie zu einer mittelbaren Verkürzung der Verjährungsfrist der Mängelansprüche führe. Eine derartige unzulässige Erleichterung der Verjährung liege bereits dann vor, wenn die gesetzliche Verjährungsfrist durch Vorverlegung des Verjährungsbeginns mittelbar verkürzt wird.
3. Der BGH sorgt mit diesem Urteil (VII ZR 171/15) für Klarheit: Bauträgerverträge sind Werkverträge. Dem Wiederaufleben einer kaufrechtlichen Übertragung von noch nicht erstelltem Wohnungseigentum nach Annäherung von Werkvertrags- und Kaufrecht durch die Schuldrechtsreform in 2002 erteilt er eine Abfuhr.
Gebäude sind zumeist Einzelanfertigungen. Sie weisen im Regelfall nicht die Qualität von Serienprodukten auf. Wegen dieser Mangelanfälligkeit bedarf es wirksamen Schutzes des Erwerbers vor unvorhersehbar schlechter Qualität. Das Werkvertragsrecht stellt die notwendigen Instrumente für den Schutz des Gebäudeerwerbers zur Verfügung. Auch nach der Schuldrechtsreform ist das Kaufrecht insoweit ungeeignet. Es regelt grundsätzlich den Erwerb einer bereits vorhandenen Ware, die im Regelfall noch in höherer Auflage produziert wird. Das bestellte Werk hat der Unternehmen hingegen selbst, auf eigene Verantwortung herzustellen. Damit erschien es dem Gesetzgeber angemessen, seine Vergütung erst nach Abnahme, d. h. die förmliche Anerkennung der vertragsgemäßen Herstellung des Werks gem. § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB durch den Besteller fällig zu stellen. Erst dann wird der Besteller auch beweispflichtig für etwaige Mängel des Werks. Nach Abnahme steht dem Besteller noch die Selbstvornahme gem. § 637 BGB zur Verfügung. Der Käufer kann sich dementgegen lediglich auf die fehlende Annahme der angebotenen Leistung als Erfüllung gem. §§ 438, 363 BGB berufen und muss diese fehlende Annahme auch noch beweisen. Er muss also die Annahme verweigern und dokumentieren, um Vergütungsanspruch und Beweislastumkehr zu vermeiden.
Die Einschätzung vorweggenommener Abnahme als unwirksam wegen unangemessener Benachteiligung gem. § 307 BGB liegt daher nahe. Die Sicherung des Bestellers für den Erhalt einer vertragsgemäßen Leistung ist ein wesentlicher Grundgedanke der gesetzlichen Regelung. Die für Nachzügler verbotene Erleichterung der Verjährung gem. § 309 Nr. 8 lit. b ff BGB rundet das Bild ab. Die Vorverlegung der Verjährung bedeutet deren Erleichterung.

Dienstag, 11. Oktober 2016

Europäischer Gerichtshof verschärft Haftung wegen unberechtigter Benutzung einer Marke

Urteil vom 3.3.2016 – Rs. C-179/15 – Mercedes


Der Gerichtshof tenoriert:

„Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass ein Dritter, der in einer auf einer Website veröffentlichten Anzeige genannt ist, die ein Zeichen enthält, das mit einer Marke identisch oder ihr ähnlich ist, so dass der Eindruck einer Geschäftsbeziehung zwischen ihm und dem Markeninhaber besteht, keine Benutzung dieses Zeichens vornimmt, die vom Inhaber nach dieser Bestimmung verboten werden kann, wenn die Anzeige weder von diesem Dritten noch in seinem Namen platziert worden ist oder, falls die Anzeige von diesem Dritten oder in seinem Namen mit Zustimmung des Inhabers platziert worden ist, wenn dieser Dritte den Betreiber der Website, bei dem er die Anzeige in Auftrag gegeben hatte, ausdrücklich aufgefordert hat, die Anzeige oder die in ihr enthaltene Nennung der Marke zu löschen.“

Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses hatte der Lizenznehmer einer Marke vergeblich versucht, eine Anzeige auf einer Website eines Dritten zu löschen. Der Dritte hatte diese Aufforderung ignoriert und weiterhin mit der Marke des Lizenzgebers geworben. Daraufhin nahm der Lizenzgeber und Markeninhaber den Lizenznehmer auf Unterlassung in Anspruch. Der Gerichtshof hat einen Anspruch des Markeninhabers verneint, weil der Lizenznehmer nach ausdrücklicher Aufforderung des Dritten zur Unterlassung die Marke nicht mehr benutze.

Zwar ließe sich die Veröffentlichung einer Werbeanzeige, die die Marke eines anderen nennt, auf einer Referenzierungswebsite dem Werbenden zurechnen, der diese Anzeige in Auftrag gegeben und auf dessen Anweisung der Betreiber dieser Seite als Dienstleister gehandelt habe (vgl. entsprechend Urteile Google France und Google, C-236/08 bis C-238/08, EU:C:2010:159, Rn. 51 und 52, sowie Frisdranken Industrie Winters, C-119/10, EU:C:2011:837, Rn. 36), doch könnten dem Werbenden die Handlungen oder Unterlassungen eines solchen Dienstleisters nicht zugerechnet werden, wenn dieser sich absichtlich oder fahrlässig ￿er die ausdrücklich vom Werbenden erteilten Anweisungen hinwegsetze, die gerade darauf abzielen, diese Benutzung der Marke zu verhindern. Kommt der Dienstleister der Aufforderung des Werbenden, die fragliche Anzeige oder die in ihr enthaltene Nennung der Marke zu löschen, nicht nach, lässt sich die Veröffentlichung der Markennennung auf der Referenzierungswebsite nicht mehr als Benutzung der Marke durch den Werbenden qualifizieren.
Die Entscheidung konkretisiert auch die ständige Rechtsprechung deutscher Gerichte zur Zumutbarkeit von Prüfungsmaßnahmen gegen die Verletzung einer Marke. Ob und inwieweit dem als Störer Inanspruchgenommenen eine Prüfung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (z. B. BGH I ZR 216/11 - Kinderhochstühle im Internet II) zuzumuten ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat. Soweit der vormals berechtigte Markennutzer die Beendigung der Nutzung vom Dritten verlangt, ist er nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs in jedem Fall von weiteren Prüfungspflichten befreit.

Mittwoch, 28. September 2016

Grenzüberschreitender Formwechsel innerhalb der Europäischen Union ist analog der innerstaatlichen Vorschriften gemäß §§ 190 ff. UmwG durchzuführen

Urteil des Kammergerichts vom 21. März 2016 52 W 64/15 sorgt für Klarheit


Im Zuge der Öffnung der strengen Sitztheorie in Deutschland wird seit der SEVIC-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur grenzüberschreitenden Verschmelzung vom 13. Dezember 2005 (C-411/03) die praktische Umsetzung von grenzüberschreitenden Umwandlungen in der Europäischen Union diskutiert. Gesetzgeberisch wurde das deutsche Umwandlungsgesetz aufgrund der Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten vom 26.10.2005 (ABl EU Nr L 310, 1) um die §§ 122a ff. UmwG zur grenzüberschreitenden Verschmelzung ergänzt. Alle anderen grenzüberschreitenden Umwandlungen wie Spaltung, Ausgliederung oder Formwechsel sind allerdings in Deutschland noch nicht normiert.
Vorliegend geht es um den Formwechsel einer französischen Société à responsabilité limitée in eine deutsche GmbH.

Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der Art. 49, 54 AEUV, die dem nationalen Recht vorgehen, ist davon auszugehen, dass insbesondere die Vorschriften der §§ 191, 226 UmwG, die eigentlich abschließend die Rechtsträger benennen, die einen Formwechsel durchführen können, dem angemeldeten Formwechsel nicht entgegen stehen, auch wenn sie - wie hier - den beteiligten ausländischen Rechtsträger nicht als formwechselfähig aufführen (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 12. Juli 2012 - C 378/10 - Vale).

Die danach erforderliche Anpassung des deutschen Sachrechts hat nicht unter Anwendung der Vorschriften über den grenzüberschreitenden Sitzwechsel einer Europäischen Aktiengesellschaft zu erfolgen, denn die supranationale Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft SE ist vor allem auf Großunternehmen zugeschnitten. Die hohen Anforderungen an den Formwechsel würden zu einer erheblichen Benachteiligung gegenüber einer vergleichbaren deutschen Kapitalgesellschaft, im konkreten Fall einer deutschen GmbH führen. Aus diesem Grund muss es bei einer Anwendung der Regeln eines Formwechsels einer Kapitalgesellschaft in eine GmbH bleiben, wie sie das UmwG vorsieht. Danach muss der Gesellschaftsvertrag u. a. Zahl und Nennbeträge der Geschäftsanteile enthalten oder den Hinweis, dass die Kapitalaufbringung durch den Formwechsel der ursprünglichen Gesellschaft erfolgt ist. Außerdem kann wie hier bei einer französischen Société à responsabilité limitée der Nachweis die Werthaltigkeit des Vermögens verlangt werden. Nur im Falle des Formwechsels einer Aktiengesellschaft oder vergleichbaren ausländischen Handelsgesellschaft mit strengerem Prüfungsmaßstab bei der Kapitalaufbringung ist eine solche Werthaltigkeitsprüfung nicht vorgeschrieben.

Das Kammergericht bestätigt damit die Rechtsprechung des OLG Nürnberg zum Formwechsel einer luxemburgischen Société à responsabilité limitée nach Deutschland in eine deutsche GmbH, Beschluss vom 19. Juni 2013 - 12 W 520/13.

Grenzüberschreitende Umwandlungen mit Staaten außerhalb der Europäischen Union bleiben weiterhin sowohl gesetzgeberisch als auch judikativ so gut wie unreguliert. Hier ist im Zweifel sehr viel juristische Kreativität und Zusammenarbeit mit den Beteiligten Registern erforderlich. Die Unsicherheit über die Wirksamkeit einer solchen Umwandlung und damit steuerrechtliche Anerkennung macht solche Umwandlungen oft von Anfang an schon undurchführbar.

Donnerstag, 15. September 2016

Brexit nach Art. 50 Abs. 3 EU-Vertrag – erste Rechtsgedanken

„Die Verträge finden auf den betroffenen Staat ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der in Absatz 2 genannten Mitteilung keine Anwendung mehr… Ein Mitgliedstaat, der auszutreten beschließt, teilt dem Europäischen Rat seine Absicht mit.“ Art. 50 Abs. 2 und 3 EU-Vertrag
Die Volksabstimmung der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union („Brexit“) stellt in den nächsten Jahren eine Herausforderung für die Vertragsgestaltung im Hinblick auf das Vereinigte Königreich dar. Gemäß Art. 50 des EU-Vertrags sollen die Verträge spätestens nach zwei Jahren nach Mitteilung der Austrittsabsicht nicht mehr gelten. Darunter fallen wohl auch das gesamte Sekundärrecht und der Acquis communautaire.

Inwieweit die zukünftigen Rechtsbeziehungen wie im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mit Island, Norwegen und Liechtenstein geregelt werden, bleibt abzuwarten. Ein harter Austritt ohne Austrittsabkommen wird juristisch wohl nur mit Ausnahmeregelungen wie den Wegfall der Geschäftsgrundlage oder Ähnlichem gehandhabt werden können.
Für die Vertragsgestaltung gilt es insbesondere zu beachten:

1. Gerichtsstandsvereinbarung

Als Ersatz für die so genannte Brüssel Ia-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 12. Dezember 2012 (Verordnung Nr. 1215/2012) dürfte wohl das Luganer Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 für das Vereinigte Königreich in Kraft treten. Die Regelungen bleiben dann im Großen und Ganzen vergleichbar. Andernfalls sind für Deutschland die Vorschriften der Zivilprozessordnung, insbesondere §§ 12 ff., 38 ff. ZPO zur Gerichtsstandsvereinbarung, auch auf internationale Sachverhalte wie hier mit dem Vereinigten Königreich anzuwenden.

2. Rechtswahl

Die römischen Verordnungen, insbesondere Rom I über das auf vertragliche Schuldnerverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008 (Verordnung Nr. 593/2008) kommen nur noch in Deutschland als loi uniforme (Art. 2) zur Anwendung. Im Vereinigten Königreich wird trotzdem eine Rechtswahl weiterhin möglich sein („express or implied choice of law“) möglich sein. Ansonsten gilt das Recht des Landes, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufweist („centre of gravity“).
Im Rahmen des Gesellschaftsstatuts könnte die vor allem europarechtliche Pflicht zur Anerkennung ausländischer Gesellschaft nach der Besprechung des EuGH (u.a. „Inspire Art“) für eine englische Limited nicht mehr gelten. Der Bundesgerichtshof hält auch nach Einführung der Gründungstheorie für die deutsche GmbH bzw. Aktiengesellschaft an der Sitztheorie des deutschen Gesellschaftsrechts fest. Eine englische Kapitalgesellschaft verwandelte sich bei Sitzverlegung nach Deutschland also wieder in eine Personengesellschaft, regelmäßig in Form einer offenen Handelsgesellschaft. Das Aufleben der persönlichen Haftung der Gesellschafter wäre die Folge.

3. Salvatorische Klausel


Angesichts der Unwägbarkeiten der Fortgeltung vielfacher Regelungssysteme sollte jeder ab sofort im Hinblick auf das Vereinigte Königreich geschlossene Vertrag eine salvatorische Klausel enthalten. Der Streit um die Sinnhaftigkeit von salvatorischen Klauseln im Zivilrecht ist insoweit erledigt. Insbesondere auch eine Pflicht zur Neuverhandlung sollte eine salvatorische Klausel enthalten. Die automatische Geltung einer Regelung, die dem von den Parteien gewollten Vertragsinhalt möglichst nahe kommt, macht angesichts des möglichen Wegfalls kompletter Regelungssysteme nicht viel Sinn. Die Frage, was dann gelten soll, ist damit nicht beantwortet.